Nationalitätenverhältnis beeinflussen lassen würde. Die moralische Unterstützung
durch propagandistische Parolen des Bundes der Saarvereine war eine Methode, die
saarländische Bevölkerung zum Bleiben zu motivieren - ohne entsprechende mate¬
rielle staatliche Hilfsleistungen wäre sie angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse
jedoch ins Leere gelaufen.
Mit der sukzessiven Einführung des Francs als gleichberechtigtem Zahlungsmittel
neben der Mark stieg zwar bei einem Teil der Saarbevölkerung das verfügbare
Einkommen, doch die Markempfänger auf der anderen Seite konnten die daraus
resultierende Preissteigerung kaum aus eigener Kraft ausgleichen192. Die Dominanz
französischer Produkte verschärfte diese Situation weiterhin. Die Geschäftsstelle
„Saar-Verein“, die schon vor dem dramatischen Wertverfall der Mark im Saargebiet
ab Herbst 1921 verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaflichen Lage
einzuleiten versucht hatte, erkannte, daß die gezielte finanzielle Unterstützung
bedürftiger Markempfänger auf längere Sicht sinnvoller war, als den Wegzug aus
dem Saargebiet durch großzügige Entschädigungszahlungen zu fördern, ihn teilweise
sogar zu prämieren19'. Zur Entlastung der Geschäftsstelle konstituierte sich Ende
Januar 1922 in Berlin ein spezieller „Fürsorge- und Unterstützungsausschuß“ unter
der Leitung Karl Ommerts194. Offiziell sollte sich der Ausschuß zwar auch weiterhin
der Flüchtlingsfürsorge und den Ausgewiesenen zuwenden, sein hauptsächliches
Aufgabengebiet lag allerdings in der vorbeugenden Fürsorge im Saargebiet. In
monatlichen Sitzungen wurde über die Verteilung der nun fast ausschließlich zu
diesem Zweck verwendeten Gelder beraten. Entweder erfolgte die Auszahlung direkt
an Pfarrer oder Gewerkschaftssekretäre im Saargebiet oder über interkonfessionell
und überparteilich besetzte Gremien19". Bis Mai 1922 flössen auf diese Weise fast
400.000 Mark ins Saargebiet, die größtenteils aus Spendengeldern erbracht worden
waren196. Der ehemalige Landrat von Saarbrücken, Carl von Halfern, legte Mitte
Oktober 1922 den Grundstock einer nach ihm benannten Stiftung, deren Zinsen
ebenfalls der prophylaktischen Fürsorge zugute kamen. Da die Hyperinflation den
192 Saarbrücken war zeitweise die teuerste deutsche Stadt: Vgl. BARTH: Währungs- und Zollpolitik, S. 29;
HEINZ: Die Einführung des Franc. Zu den Folgen dieses Währungsdualismus und der Propaganda des
Saarvereins gegen die Einführung des Francs siehe Kap. 3.3.1.
193 Vgl. Brief der GSV an die Flüchtlingsfürsorge des Bundes der deutschen Grenzmarken-Schutz-
verbände (27.08.21), in: BA-R 8014/973. Ohnehin waren diese Hilfsprojekte bis zur Hyperinflation
in Deutschland kostengünstiger als die Flüchtlingsfürsorge jenseits der Saargrenzen. Bereits im
Frühjahr 1921 hatten sich Preußen und das Reich darauf verständigt, künftig der starken Abwan¬
derung aus den an Polen abgetretenen Ostgebieten durch private Organisationen entgegenzuwirken:
Vgl. KREKELER: Deutschtumspolitik, S. 72-97.
194 Im folgenden, sofern keine andere Quelle genannt: BA-R 8014/966.
193 Ein Beispiel für diese prophylaktische Fürsorge war die Abgabe kostenloser Milch an sechs bedürftige
Kinder in Wiebelskirchen, die über den Pfarrer organisiert wurde. Anfang Oktober 1922 beriet ein
solches Komitee in Saarbrücken über die Verteilung von 250.000 Mark an notleidende Mark¬
empfänger. Vgl. die stadtteilweise erstellten Listen potentieller Unterstützungsbedürftiger, in: BA-R
8014/975.
Vgl. Rechenschaftbericht Ommerts auf der Bundestagung 1922, in: SF 3 (1922) 10, S. 152.
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