ersten Jahren einen Großteil des Schriftverkehrs über die Privatadressen seiner
Angestellten abzuwickeln. Diese luden beispielsweise einen saarländischen „Neffen“
zu einem „Familienfest“ nach Frankfurt oder ins Rheinland ein, wo ein Wiedersehen
mit ihrem „Onkel“ (Vogel) anberaumt war10 11. Es ist nicht auszuschließen, daß die
Vertrauensleute Vogels ihre Stellung mißbrauchten, um über Denunziationen alte
Rechnungen zu begleichen. Gerade in kleineren Dörfern, in welchen sie die einzige
Kontaktperson waren, wußten sie teilweise sehr intime Details über Dritte zu be¬
richten". Meist erfuhren die so Verleumdeten nichts von den über sie angefertigten
Dossiers; war ihnen erst einmal das Stigma des Landesverrats aufgedrückt, besaßen
sie kaum eine Möglichkeit der Rechtfertigung. In der aufgeheizten Stimmung des
Abstimmungskampfes erlebten derartige Denunziationen ihren traurigen Höhepunkt.
Stärker als in früheren Jahren gingen in der Berliner Stresemannstraße Hinweise ein,
in welchen Saarländer bezichtigt wurden, sich zugunsten des Status quo oder Frank¬
reichs engagiert zu haben.
Schon in seiner Gründungsansprache im Juli 1919 zählte Vogel die Unterstützung
der Reichs- und Staatsregierungen zu den erweiterten Aufgaben der Geschäftsstelle,
die als Mittler zwischen Saarbevölkerung und amtlichen Stellen fungieren wollte12.
So ziehen sich die Versuche, den Status einer halboffiziellen Regierungsstelle zu
erlangen, wie ein roter Faden durch den Schriftverkehr. Die finanziellen Aspekte
dieser angestrebten Symbiose können in dieser frühen Phase nicht ausschlaggebend
gewesen sein, da der Geschäftsbetrieb aufgrund der beträchtlichen Dotation des
preußischen Finanzministeriums zunächst gesichert war. Vielmehr dürfte der Ehrgeiz
Vogels die entscheidende Triebfeder gewesen sein, sich nicht mit der Rolle des
Handlangers der von ihm verachteten - weil sozialdemokratisch dominierten -
„Reichszentrale für Heimatdienst“ (RfH) zu begnügen, sondern in Saarangelegenhei¬
ten deren Position einzunehmen.
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Die Konzentration der mit Öffentlichkeitsarbeit betrauten Abteilungen verschiedener
Reichsministerien in der „Vereinigten Presseabteilung der Reichsregierung und des
Auswärtigen Amtes“ zum 1. Oktober 1919 beendete das bis dahin herrschende
Kompetenzgerangel13. Parallel hierzu erfolgte aus Effizienzgründen und finanziellen
16 ff.; SF 2 (1921)2, S. 24; SF 2 (1921) 4, S. 43.
10 Vgl. Telegramm an Otto Ludwig (März 1920), in; BA-R 8014/142, Teilweise ging die Geheimhaltung
so weit, daß selbst die GSV nicht mehr die Tarnnamen der Verbindungsleute eindeutig zuordnen
konnte. Vgl. Telegramm (August 1920), in: BA-R 8014/148.
11 So behauptete ein Verbindungsmann, der für ein Reichswehrkommando Nachforschungen über die
politische Gesinnung, den Familienstand und den Leumund eines Bewerbers anstellen sollte, dessen
Schwestern hielten im Dorf den Rekord im Ehebruch. Derartige Berichte lassen eher Aussagen über ihre
Verfasser als über die beschuldigten Personen zu.
12 Vgl. Denkschrift der GSV für den preußischen Ministerpräsidenten Hirsch (06.08,19). in: BA-R
8014/662.
13 Die Etatisierung der amtlichen deutschen Pressepolitik fiel in die Zuständigkeit des AA: Zur Presse¬
stelle vgl. Bauer, S. 35-66; VOGEL: Presse- und Propagandapolitik.
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