Auch der Volks- und Volkstumsbegriff des IGL wandelte sich. Wo noch Anfang
und Mitte der 1920-er Jahre mit „Volkstum“ die Masse in einem soziologischen
Sinn gemeint war, erhielt der Begriff gegen Ende der 1920-er Jahre eine deutlich
ethnische Komponente, um sich in den 1930-er Jahren mit völkischen Inhalten zu
füllen. Vom deutsch-germanischen Volkstum wurde an der Westgrenze das
französisch-romanische, das „welsche Wesen“ abgesetzt.138 Hierbei war „Kultur¬
raum“ „vielleicht der problemreichste Begriff der geschichtlichen Landeskunde
überhaupt“, wie Edith Ennen, während langer Jahre Wissenschaftlerin am IGL,
befand, namentlich wenn er dazu benutzt wurde, verschiedene Kulturräume
gegeneinander abzugrenzen, statt Übergänge und Akkulturationsprozesse aufzu¬
zeigen.139 Ihn zogen Bonner Wissenschaftler heran, um in grenzüberschreitender
Erforschung in den verlorenen Westgebieten und tief in Westeuropa germanisch¬
deutsches Kulturgut aufzustöbern.140
Da Grenzlandwissenschaft als nationaler Grenzkampf betrieben wurden, gehörte
das Saargebiet in seiner bedrohten Lage zu den vornehmen Aufgaben des IGL.141
Das IGL lud die saarländische Lokalforschung zu Vortragsreihen, Ferien- und
Fortbildungskursen nach Bonn ein. Obwohl saarländische Kreise selbst nach einer
besseren wissenschaftlichen Betreuung verlangt hatten, war der Zuspruch zum
Bonner Angebot kläglich. Nur der Saarbrücker Stadtschulrat Bongard kam Aubin
entgegen und öffnete ihm die Tür zur Schulverwaltung im Saargebiet. Unterstützt
von der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, von Loesch und dem
irredentistischen DSB,14: versuchte Aubin, die saarländische Heimatforschung
stärker an das IGL zu binden. 1925 ließ er in den Kreisen des Saargebiets sied¬
lungsgeschichtliche Arbeitsgemeinschaften einrichten, um „ansehnliche Kreise
138 Nikolay-Panter, „Geschichte“, 246-47, cf. 260; Ennen, „Aubin“, 22-23.
139 Ennen, „Aubin“, 27; cf. Irsigler, „Zu den gemeinsamen Wurzeln“, 81; H[einrich]
L[eonhard] Cox, „Volkskundliche Kulturraumforschung im Rhein-Maas-Gebiet (1920-1990)“,
Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde, 28 (1989/90), 29-67, hier 29-32; Edith Hörander,
„Kultur - Raum - Grenze“, Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde, 30 (1993/94), 27-37.
140 Nikolay-Panter, „Geschichte“, 238, 248; cf. Franz Steinbach, Studien zur westdeutschen
Stammes- und Volksgeschichte, im Anh.: Deutsche Sprache und deutsche Geschichte, [erw.]
Nachdr. Jena 1926 (Darmstadt: WBG, 1962); Franz Petri, „Franz Steinbach zum Gedächtnis:
* 10. Oktober 1895, t 7. November 1964“, Rheinische Vierteljahrsblätter, 29 (1964), 1-27; Karl
Ditt, „Die Kulturraumforschung zwischen Wissenschaft und Politik: Das Beispiel Franz Petri
(1903-1993)“, Westfälische Forschungen, 46 (1996), 73-176; Horst Lademacher, „Franz Petri zum
Gedächtnis: * 22.2.1903 t 8.3.1993“, Rheinische Vierteljahrsblätter, 57 (1993), vii-xix, hier x.
UABn, Hermann Aubin: Max Wentscher (Dekan der Phil. Fak. der Univ. Bonn) v.
2.12.1925, 1.
143 BayHStA, MA 108204: Pr KM an RMdl v. 21.12.1926, 2; Sperr an BayMA v. 8.4.1927, 1;
cf. „9. Lehrgang des Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande an der Uni¬
versität Bonn (Poppelsdorfer Allee 25) von Mittwoch, den 4. bis Freitag, den 6. April 1934:
Saarfragen“, Rheinische Vierteljahrsblätter, 4 (1934), 125; PAAA, R60382: Loesch, Bericht
über heimatkundliche Arbeiten im Saargebiet und Luxemburg, Anlage zu Loesch an Mindir.
Heilbron (AA) [ca. 10.12.1925]; Loesch, Aubin, Felix Kraus, Zirkular des „Ausschusses für
Heimat- und Volksforschung“ v. 11.8.1925. Aubin war Mitglied des „Ausschusses Deutscher
Kulturforscher“ im DSB; Ditt, Raum, 95-96.
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