nationalkonservativen Historiker der Weimarer Zeit und wurde von großen Teilen
des deutschen Bildungsbürgertums geteilt. Lange vor dem Ersten Weltkrieg
entstanden, wurde sie durch die Kriegs- und Nachkriegsereignisse verstärkt.62
Nach dem Verlust der deutschen Großmachtstellung und der Erschütterung der
inneren Machtverhältnisse durch die demokratische Revolution, nach Gebiets¬
verlusten und Reparationen verhärtete sich die nationale Haltung des konservativen
Bürgertums. Historiker und Geographen sahen im Artikel 231, dem so genannten
Kriegsschuldartikel, den Schlüssel zum Versailler Friedensvertrag. Ohne die
Zuweisung der Alleinschuld am Ersten Weltkrieg an das Deutsche Reich glaubten
sie die Siegermächte der moralischen Handhabe und der Berechtigung zu Gebiets¬
ansprüchen gegen Deutschland beraubt. Durch den Nachweis einer französischen
Mitschuld oder gar Hauptschuld am Kriegsausbruch sollte Frankreichs Stellung
als Garant der europäischen Friedensordnung erschüttert werden. Die Akten zur
Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges waren der Geschichtswissenschaft noch
nicht zugänglich. So suchte man diesen Nachweis in der französischen Geschichte
und ließ tagespolitische Ereignisse in die historische Betrachtung einfließen.63
Die Saarlande lagen mitten im umstrittenen Gebiet. In seinem Beitrag zum
Saargebiets-Weißbuch des Reichstags wollte Oncken seine Beweisführung nicht
mit der römischen Geschichte der Rheinlande beginnen, weil er es ablehnte, mit
„Reminiszenzen aus einer toten Vergangenheit einen beliebigen unberechtigten
Eroberungsanspruch zu begründen“. Ab dem 10. Jahrhundert hingegen gestand er
passé éclaire le sens de la politique que la France poursuit sur le Rhin comme le ferait un
projecteur“. Cf. AAE, Sarre 115, f. 170-71: Frz. Botschafter in Berlin [Charles Laurent] an
MAE v. 14.11.1921; cf. Tobias C. Bringmann, Handbuch der Diplomatie 18/5-1963: Auswär¬
tige Missionschefs in Deutschland und deutsche Missionschefs im Ausland von Metternich bis
Adenauer {München: Saur, 2001), 188.
62 Victor Klemperer t, „Das neue deutsche Frankreichbild (1914-1933): Ein historischer Über¬
blick: Teil II“, Beiträge zur romanischen Philologie, 1 (1961) 17-61; 2 (1963), 70-115; hier
„Teil II“, 2 (1963), 109.
63 PAAA, R60380: [Penck] „Die nationalpolitische Aufgabe der Wissenschaft“ [2]; cf. Ulrich
Heinemann, „Die Last der Vergangenheit: Zur politischen Bedeutung der Kriegsschuld- und
Dolchstoßdiskussion“, Die Weimarer Republik 1918-1933: Politik — Wirtschaft — Gesellschaft,
Hg. Karl Dietrich Bracher, Manfred Funke, Hans-Adolf Jacobsen, 2., durchges. Aufl., Schriften¬
reihe der Bundeszentrale fur politische Bildung, 251 (Bonn: Bundeszentr. f. pol. Bildung, 1988),
371-86, hier 375; id., Die verdrängte Niederlage: Politische Öffentlichkeit und Kriegsschuldfrage
in der Weimarer Republik, Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 59 (Göttingen: V&R,
1983), 105-11; Wolfrum, Geschichte, 29-30; Bernd Faulenbach, „Selbstverständnis und Leit¬
vorstellungen politischer Historiker in der Krise der frühen 30er Jahre“, Gelehrtenpolitik und
politische Kultur in Deutschland ¡830-1930: Referate und Diskussionsbeiträge, Hg. Gustav
Schmidt, Jörn Rüsen, Mitarb. Ursula Lehmkuhl (Bochum: Brockmeyer, 1986), 169-92, hier 174;
Helga Grebing, „Zwischen Kaiserreich und Diktatur: Göttinger Historiker und ihr Beitrag zur
Interpretation von Geschichte und Gesellschaft (M. Lehmann, A. O. Meyer, W. Mommsen, A.
Kaehler)“, Geschichtswissenschaft in Göttingen: Eine Vorlesungsreihe, Hg. Hartmut Boockmann,
Hermann Wellenreuther, Göttinger Universitätsschriften, A, 2 (Göttingen: V&R, 1987),204-38,
hier 228-29; Karl-Heinz Janßen, „Kriegsschuldffage“, Enzyklopädie des Nationalsozialismus, Hg.
Wolfgang Benz, Hermann Graml, Hermann Weiß, 2. Aufl. (München: dtv, 1998), 556; AAE,
France 12, f. 139-41: Deutsche kulturpolitische Gesellschaft an Dir. der Société des Mines et
Usines de Nilvange v. 17.11.1921.
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