Tradition Vidal de la Blaches prangerte Herly einen preußischen Expansionismus
an.48 ln Deutschland wurde dementsprechend die französische Saarforschung als
Bestandteil der französischen Saarpolitik verstanden.49
In den 1930-er Jahren wandelte sich die Haltung der französischen Saarwissen¬
schaften. Nationale Erwägungen traten hinter unparteilichen Schilderungen
zurück und Kritik an der überbrachten französischen Saarforschung wurde laut.
Robert Capot-Rey beklagte die mangelnde Objektivität seiner Landsleute.'0
Jacques Droz hielt 1932 vor der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Sorbonne
einen Vortrag über die öffentliche Meinung im Rheinland während der Aus¬
einandersetzung zwischen Preußen und Österreich 1864-66. Mit seinen wissen¬
schaftlichen Vorläufern ging er hart ins Gericht. Den Historikern Babeion und
Julien Rovére, die behauptet hätten, dass die Rheinländer Mitte des 19. Jahr¬
hunderts eine französische Eroberung begrüßt hätten, warf er vor, zu wenige
Quellen herangezogen und Dokumente unterschlagen zu haben, die das Gegen¬
argument stützten. Die rheinische Bevölkerung sei nicht frankophil gewesen,
betonte Droz.51 * Bezeichnenderweise konnte er seine Abhandlung nicht in
Frankreich veröffentlichen. Sein Verstoß gegen die ungeschriebenen Gesetze der
französischen Nationalwissenschaft verbaute ihm den Zugang zu den heimischen
Verlagen. Die Publikation wurde ihm ausgerechnet von Franz Steinbach, dem
Leiter der Westdeutschen Forschungsgemeinschaft (WFG), in der Reihe des
Bonner IGL ermöglicht."' Die deutsche Saarforschung würdigte Droz’ kritische
Haltung als ein Zeichen dafür, dass die französische Forschung „teilweise den
Standpunkt der Kriegs- und Nachkriegspsychose überwunden“ habe/ ’
48 [Herly] Sarre, 18.
Fritz Hellwig, „Die Saarliteratur Frankreichs und des übrigen Auslandes von 1914-1935“, Ab¬
handlungen zur saarpfälzischen Landes- und Volksforschung, 1 (1937), 187-233, hier 187; cf.
AMSgs, Hiegel/ Mes rapports avec l’institut de Francfort en 1934: „Défense de M. Hiegel
1939/1944“ [7].
R[obert] Capot-Rey, Quand la Sarre était française, Les cahiers rhénans, 7 (Paris: Belles
Lettres, 1928), ii; cf. BayHStA, MA 108204: Overbeck, „Saar-Atlas“ [1].
1 Droz, L 'opinion publique, 15-17, 21.
" [Hellwig], „Französische Annexionsliteratur“, 314.
Hellwig, Kampf, 28-29; id. „Die deutsche Saarbevölkerung in den Jahren vor der Reichs¬
gründung“, Die Grundlagen des Saarkampfes: Handbuch zur Volksabstimmung, Hg. Adolf
Grabowsky, Georg Wilhelm Sante, Vorw. Franz v. Papen, Zeitschrift für Politik, Sondemr.
(Berlin: Heymann, 1934), 74-82, hier 75. Cf die Anspielung F[ranz] Steinbachs, „Vorbemer¬
kung des Herausgebers“, Jacques Droz, L’opinion publique dans la Province Rhénane au cours
du conflict austro-prussien 1864-66, Rheinisches Archiv, 22 (Bonn: Röhrscheid, 1932), v.
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