Full text: Volk, Reich und Westgrenze (39)

Warum sei man nicht nochmals tausend Jahre zur keltischen oder gallo-römischen 
Bevölkerung zurückgeschritten, fragte Herly angesichts der rheinischen Feiern: 
„Pourquoi effacer ces mille années puisque déjà on remonte de mille ans en 
arrière? La mauvaise foi est ici éclatante.“* 41 Gewiss war das Feierdatum aus 
politischen Gründen gewählt, um gegen die französische Präsenz am Rhein zu 
protestieren und die rheinische Loyalität zu Deutschland zu bekunden.42 Aber der 
für die europäische Geschichte konstitutive Charakter des 10. Jahrhunderts, in 
dem auf das Karolingerreich dynastisch regierte Staaten gefolgt waren, als deren 
Fortsetzung sich mit Recht Frankreich und Deutschland fühlen, ist nicht zu 
leugnen, wenn er auch den meisten Jahrtausendfeierern ebenso unbekannt war 
wie Herly. Unerträglich war Herly, wenn das Teutonicum regnum43, ja das beste¬ 
hende Deutsche Reich mit dem Heiligen Römischen Reich in eins gesetzt wurde: 
„Le Saint Empire n’était rien d’autre chose qu’une dignité. Cette dignité ne 
conférait aucun droit politique particulier et surtout ne s’étendait sur aucune 
nationalité définie. Pourquoi les Allemands réclament-ils au nom du Saint Empire 
Sarrebrück et Strasbourg et ne réclament-ils pas au même titre Arles et Avignon, 
voire Milan, Rome et même Naples?“44 
Es war in der deutschen Geschichtswissenschaft verbreitet, das Deutsche Reich, 
wie es aus der Einigungsbewegung des 19. Jahrhunderts hervorgegangen war, in 
die Kontinuität des Heiligen Römischen Reiches zu stellen; die Konzeption des 
Bismarckreiches erschien „mitunter als Entelechie deutscher Geschichte seit der 
Ottonenzeit“. Die Kaisergeschichte des Mittelalters wurde als deutsche National¬ 
geschichte beansprucht und die hegemoniale Stellung des mittelalterlichen 
Reiches stillte den Wunsch nach eigener nationaler Größe,45 erst recht nach 1919. 
Würde er in derselben Logik antworten, meinte Herly, seien diverse französische 
Epochen des Saarlandes anzuführen.46 Preußen aber, das nach dem Zweiten 
Pariser Frieden eine brutale Germanisierung, ja Prussifizierung der Saarlande 
begonnen habe, sei nicht vor dem Jahr 1814 an der Saar aufgetaucht.47 In der 
sehen Fakultäten der Universität des Saarlandes „Grenzregionen und Interferenzräume“, For- 
bach, 10.5.2001, 15.15-16 Uhr. 
41 [Herly] Sarre (1928), 14, cf. 10; id„ Sarre (1926), 3-4. 
4" Gerhard Paul, ,„Schwarz-weiß-rot am Hundeschwanz‘: Die Rheinische Jahrtausendfeier 
1925“, Richtig daheim waren wir nie: Entdeckungsreisen ins Saarrevier 1815-1955, Hg. 
Klaus-Michael Mallmann [et al.], 2., korr. Aufl. (Bonn: Dietz, 1988), 113-16, hier 113. 
41 Joachim Ehlers, „Die deutsche Nation des Mittelalters als Gegenstand der Forschung“, 
Ansätze und Diskontinuität deutscher Nationsbildung im Mittelalter, Hg. id., Nationes, 8 
(Sigmaringen: Thorbecke, 1989), 11-58, hier 31, 33, 43-44, 49, 52. 
44 [Herly] Sarre {1928), 14-15. 
45 Ehlers, „Deutsche Nation“, 12-14, 20-21, Zitat 14. 
46 [Herly] Sarre ( 1928), 16; cf. Robert Capot-Rey, La région industrielle sarroise: Territoire de 
la Sarre et Bassin houiller de la Moselle: Etude géographique (Paris: Berger-Levrault, 1934), 
601. 
47 [Herly] Sarre (1928), 18-20; id., Perdrons-nous, 14; [Robert] Herly, „Le Département de la 
Sarre de 1789 à 1815“, Annales de l’Est, 42 (1928) / Annuaire de la Fédération historique 
lorraine (1928), 161-66, hier 165. 
56
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.