Warum sei man nicht nochmals tausend Jahre zur keltischen oder gallo-römischen
Bevölkerung zurückgeschritten, fragte Herly angesichts der rheinischen Feiern:
„Pourquoi effacer ces mille années puisque déjà on remonte de mille ans en
arrière? La mauvaise foi est ici éclatante.“* 41 Gewiss war das Feierdatum aus
politischen Gründen gewählt, um gegen die französische Präsenz am Rhein zu
protestieren und die rheinische Loyalität zu Deutschland zu bekunden.42 Aber der
für die europäische Geschichte konstitutive Charakter des 10. Jahrhunderts, in
dem auf das Karolingerreich dynastisch regierte Staaten gefolgt waren, als deren
Fortsetzung sich mit Recht Frankreich und Deutschland fühlen, ist nicht zu
leugnen, wenn er auch den meisten Jahrtausendfeierern ebenso unbekannt war
wie Herly. Unerträglich war Herly, wenn das Teutonicum regnum43, ja das beste¬
hende Deutsche Reich mit dem Heiligen Römischen Reich in eins gesetzt wurde:
„Le Saint Empire n’était rien d’autre chose qu’une dignité. Cette dignité ne
conférait aucun droit politique particulier et surtout ne s’étendait sur aucune
nationalité définie. Pourquoi les Allemands réclament-ils au nom du Saint Empire
Sarrebrück et Strasbourg et ne réclament-ils pas au même titre Arles et Avignon,
voire Milan, Rome et même Naples?“44
Es war in der deutschen Geschichtswissenschaft verbreitet, das Deutsche Reich,
wie es aus der Einigungsbewegung des 19. Jahrhunderts hervorgegangen war, in
die Kontinuität des Heiligen Römischen Reiches zu stellen; die Konzeption des
Bismarckreiches erschien „mitunter als Entelechie deutscher Geschichte seit der
Ottonenzeit“. Die Kaisergeschichte des Mittelalters wurde als deutsche National¬
geschichte beansprucht und die hegemoniale Stellung des mittelalterlichen
Reiches stillte den Wunsch nach eigener nationaler Größe,45 erst recht nach 1919.
Würde er in derselben Logik antworten, meinte Herly, seien diverse französische
Epochen des Saarlandes anzuführen.46 Preußen aber, das nach dem Zweiten
Pariser Frieden eine brutale Germanisierung, ja Prussifizierung der Saarlande
begonnen habe, sei nicht vor dem Jahr 1814 an der Saar aufgetaucht.47 In der
sehen Fakultäten der Universität des Saarlandes „Grenzregionen und Interferenzräume“, For-
bach, 10.5.2001, 15.15-16 Uhr.
41 [Herly] Sarre (1928), 14, cf. 10; id„ Sarre (1926), 3-4.
4" Gerhard Paul, ,„Schwarz-weiß-rot am Hundeschwanz‘: Die Rheinische Jahrtausendfeier
1925“, Richtig daheim waren wir nie: Entdeckungsreisen ins Saarrevier 1815-1955, Hg.
Klaus-Michael Mallmann [et al.], 2., korr. Aufl. (Bonn: Dietz, 1988), 113-16, hier 113.
41 Joachim Ehlers, „Die deutsche Nation des Mittelalters als Gegenstand der Forschung“,
Ansätze und Diskontinuität deutscher Nationsbildung im Mittelalter, Hg. id., Nationes, 8
(Sigmaringen: Thorbecke, 1989), 11-58, hier 31, 33, 43-44, 49, 52.
44 [Herly] Sarre {1928), 14-15.
45 Ehlers, „Deutsche Nation“, 12-14, 20-21, Zitat 14.
46 [Herly] Sarre ( 1928), 16; cf. Robert Capot-Rey, La région industrielle sarroise: Territoire de
la Sarre et Bassin houiller de la Moselle: Etude géographique (Paris: Berger-Levrault, 1934),
601.
47 [Herly] Sarre (1928), 18-20; id., Perdrons-nous, 14; [Robert] Herly, „Le Département de la
Sarre de 1789 à 1815“, Annales de l’Est, 42 (1928) / Annuaire de la Fédération historique
lorraine (1928), 161-66, hier 165.
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