der westmärkischen Auswandererforschung: „Kann festgestellt werden, wie stark
der deutsche Blutsanteil dieser Dörfer ist und wie weit im Laufe der Jahrzehnte
fremder Blutsanteil hinzugekommen ist“?839 Braun, der sich mittlerweile in der
deutschen Verwaltung des Distriktes Lublin besser auskannte als einige Planungs¬
experten vor Ort, verwies Gradmann an den „Kamerad Stanglica“ im RKFDV-
Stab Lublin.840
Ob der VoMi-Mitarbeiter Braun ein plastisches Bild von der grausamen Realität
im Kreis Zamosc gehabt hatte,841 muss dahingestellt bleiben. Zwischen November
1942 und August 1943 wurden 100 000 Polen selektiert und deportiert. Deutsch¬
stämmige und eindeutschungsfähige Familien blieben verschont. Polnische Fami¬
lien wurden auseinander gerissen. Nur Säuglinge bis zu sechs Monaten durften
bei ihren Müttern bleiben. Die anderen Kinder unter 14 Jahren wurden mit den
Polinnen und Polen im Alter von über 60 Jahren in so genannten Rentendörfern
dem Hungertod ausgeliefert. Arbeitsfähige Polinnen und Polen wurden nach
Osten oder ins Innere Deutschlands verschleppt. Eine letzte selektierte Gruppe,
nach den eigenen Schätzungen der deutschen Okkupationsverwaltung über ein
Fünftel dieser Polen, wurde in den sicheren Tod nach Auschwitz geschickt. Da sie
wussten, was ihnen zugedacht war, wehrten sich die polnischen Bauern gegen die
Deportierungen und gingen zum bewaffneten Widerstand über. Die zweite Aus¬
siedlungswelle des Sommers 1943 nahm daher den Charakter einer gnadenlosen
Pazifizierungsaktion an. Viele Dörfer wurden niedergebrannt, um Partisanen¬
einheiten zu zerschlagen. Polen wurden massenweise in das Konzentrationslager
Majdanek bei Lublin verschleppt.842
Aus der Zusammenarbeit zwischen dem SS- und Polizeiführer Lublin und den
auslandsdeutschen Einrichtungen in der Westmark entwickelte sich eine „enge
Kameradschaft“. Im Februar 1941 bat Stanglicas unmittelbarer Vorgesetzter im
Volkspolitischen Referat, der Beauftragte der VoMi und des SS- und Polizeiführers
von Lublin Hauptgefolgschaftsführer Lothar von Seitmann, die Mittelstelle West¬
mark um Hilfe bei der Betreuung der deutschstämmigen Bevölkerung im Distrikt
Lublin. Die katholische Religion der pfälzischen Kolonisten hatte ihnen die
Anpassung an die polnische Nachbarschaft erleichtert. Schon im 19. Jahrhundert
hatten sie die polnische Sprache angenommen und Ehen mit Polinnen und Polen
und Vernichtungspolitik, Hg. Mechtild Rössler, Sabine Schleiermacher, Mitarb. Cordula Toll¬
mein, Schriften der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts (Berlin: Akad.
Verl., 1993), 25-95, hier 89: Wilhelm Gradmann, * 7.5.1909, cf. 55; K. H. Roth, „Heydrichs
Professor“, 269; Fahlbusch, Wissenschaft, 115.
8'9 ADM, 2W63/4, Germanisation, f. 16: Gradmann [an DAI o. D.] 27.2.1942; cf. f. 15: Kloß
an Braun v. 27.2.1942.
840 ADM, 2W63/4, Germanisation, f. 13: Braun an DAI v. 5.3.1942.
841 Robert Gellately, Backing Hitler: Consent and Coercion in Nazi Germany (Oxford: Oxford
UP, 2001), 141-42.
842 Madajczyk, Okkupationspolitik, 119-21, 422-24; Conte, Essner, Quete de la race, 265-344;
I. Heinemann, Rasse, 381-85.
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