in keiner westmärkischen Zeitschrift erschien. Christmann urteilte väterlicher. Die
Bedeutung von Merkelbach-Pincks Buch Lothringer Meistube lag für ihn in
den „Belehrungen, welche es dem Unkundigen über das deutsche Wesen des
Lothringers überhaupt vermitteln“ könne. Aber er musste die Schreibweise
(„Mai-“ komme von „maien“, dem Wort für „sich besuchen, sich unterhalten“)
und die vielen nicht dem Erzählstoff der Maistube entstammenden Texte kriti¬
sieren. Außerdem sei Merkelbach-Pincks Buch „nicht ,für das Volk4“ geeignet,
denn es enthalte zu viele schwer verständliche mundartliche Wiedergaben. Von
den Hexengeschichten fürchtete Christmann schließlich eine Rückkehr des
Hexenglaubens nach Lothringen.791 * Angesichts gewisser nationalsozialistischer
Interpretationen der frühneuzeitlichen Hexenprozesse als antinordische Rassen¬
verfolgungen mag Christmanns Sorge vor einer Wiederkehr der Hexenidee nicht
einmal an den Haaren herbeigezogen gewesen sein. 92
In die erste Nummer der Erbe und Heimat nahm Halber einen Artikel Merkelbach-
Pincks über lothringische Weihnachtsbräuche auf. Obwohl sich die entschieden
kirchliche Märchenforscherin im Gegensatz zu ihren fachlich bedeutenderen Kolle¬
gen in der Westmark im Allgemeinen gegen die nationalsozialistische Säkularisie¬
rung christlicher Traditionen wandte, deutete sie in ihrem Beitrag Weihnachten als
ein germanisches Fest.79' Dies war möglicherweise Taktik, denn sie krönte ihren
Artikel mit der galette des rois. Diese in Frankreich zwischen Weihnachten und
Epiphanie gereichte Köstlichkeit stellte sie als einen besonderen deutschlothringi¬
schen Brauch vor. 94 795 Tatsächlich war die galette des rois über den gesamten
Norden Frankreichs verbreitet; die Herkunft der Teigspeise ist der Ethnologie
zwar unbekannt, aber eine besondere lothringische oder gar deutschlothringische
Spezialität war sie niemals.797 Da Merkelbach-Pinck ohne Zweifel gewusst haben
791 Emst Christmann, „[Besprechung] Angelika Merkelbach-Pinck, Aus der Lothringer Meistube
(1943)“, Westmärkische Abhandlungen zur Landes- und Volksforschung, 5 ( 1941/42), 383-84.
792 Barbara Schier, „Hexenwahn und Hexenverfolgung: Rezeption und politische Zurichtung
eines kulturwissenschaftlichen Themas im Dritten Reich“, Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
(1990), 43-115; cf. id., „Hexenwahn-Interpretationen im ,Dritten Reich1“, Himmlers Hexenkarto¬
thek: Das Interesse des Nationalsozialismus an der Hexenverfolgung, Hg. Sönke Lorenz [et al.],
in Zsarb. mit d. Inst. f. Gesch. Landesk. u. Hist. Hilfswiss. d. Univ. Tübingen, Hexenforschung, 4
(Bielefeld: Verl. f. Regionalgesch., 1999), 1-17.
791 Angelika Merkelbach-Pinck, „Lothringisches Brauchtum um Weihnachten“, Erbe und Heimat,
1 (1944), 26-29, hier 26; cf. Thilo Scheller, „Die Heimholung des Feuers: Ein neues
Weihnachtsbrauchtum“, Deutsche Volkskunde, 1 (1939), 293-97, 293-94; Esther Gajek, „Weih¬
nachten im Dritten Reich: Der Beitrag von Volkskundlern an den Veränderungen des
Weihnachtsfestes“, Ethnologia Europaea, 20 (1990), 121-40; cf id., „Nationalsozialistische
Weihnacht: Die Ideologisierung eines Familienfestes durch Volkskundler“, Politische Weihnacht
in Antike und Moderne: Zur ideologischen Durchdringung des Festes der Feste, Hg. id„ Richard
Faber (Würzburg: K&N, 1997), 183-205, hier 198-200; für die Zusendung dieses Artikels danke
ich Joe Perry (Atlanta, USA).
794 Merkelbach-Pinck, „Lothringisches Brauchtum“, 29.
795 Arnold Van Gennep, Manuel de folklore français contemporain, t. 1,8: Cycle des douze
jours: De Noëls aux rois, réd. par Bernadette Guichard (Paris: Picard, 1988), 3546-48, zu
lothringischen Bräuchen 3562-63.
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