viele seiner ideologischen Komponenten vorhanden waren; so rief er zum
,,heilige[n] Kampf mit den Franzosen um die Wiedergewinnung“ der westlichen
Grenzgebiete auf und übertrug das Modell der Slawenmission auf die westlichen
Rheinlande, in denen er in gegen Frankreich gewandten Reichsfestungen einen
neuen Deutschen Orden mit militärischen und erzieherischen Aufgaben ansiedeln
wollte.106 Nach 1815 diente die Rheinprovinz „mit ihren Bollwerken am Rhein“
Preußen und Deutschland zwar als Schutzwall gegen Westen und preußische
Militärs sorgten sich um die Befestigung der ,,gefährdete[n] Westgrenze“,107 * aber
Deutschland war noch nicht reif für den Westmark-Begriff. Mit „Mark“, der
Bezeichnung für ein Verteidigungsgebiet des erhabenen mittelalterlichen Reiches,
wollte vor 1871 niemand das Staatsgebilde Deutscher Bund auszeichnen.
Seine literarische Entstehung verdankte der Westmark-Begriff der nationalkonser¬
vativen Geschichtsschreibung des Zweiten Kaiserreichs. Nicht von ungefähr
tauchte der Neologismus im Jahr der deutschen Annexion von Elsass-Lothringen
auf. Ihrer Geschichte des Elsasses, in der sie das elsässische Deutschtum mit Be¬
weisen aus Literatur, Philosophie, Brauchtum, Volkserzählung, Mundartdichtung
und mit dem Protestantismus untermauerten, gaben Ottokar Lorenz und Wilhelm
Scherer den Untertitel Bilder aus dem politischen und geistigen Leben der deut¬
schen Westmark.m Mit Westmark identifizierten sie das Eisass, ein Grenzgebiet,
das das Deutsche Reich soeben Frankreich entrissen hatte. Konkreter wurden
Lorenz und Scherer nicht. Im Text selbst sprachen sie selten vom Eisass als der
„Westmark“ des Reiches.109 Eine Deutung des Namens gaben sie nicht.
Gleich, ob Lorenz und Scherer den Westmark-Begriff selber schöpften oder ob sie
ihn der zeitgenössischen Publizistik entnommen haben, mit seinem Gebrauch
aktualisierten sie die mittelalterliche Bedeutung von „Mark“ und behaupteten eine
kulturelle Mission und Hegemonie des Deutschen Reiches in Westeuropa. Wie
das Heilige Römische Reich den slawischen Ländern das Christentum gebracht
Struck gegenüber dem Verf. am Rande der Sektion „Grenzen: Räume, Erfahrungen, Konstruk¬
tionen (17.-20. Jahrhundert)“ des 45. Deutschen Historikertages in Kiel, 16.9.2004, 9-13 Uhr.
106 Arndt, Rhein, 48-49, 84, cf. 83-88; cf. Peter Alter, „Nationalbewußtsein und Nationalstaat
der Deutschen“, Aus Politik und Zeitgeschichte (1986), B 1, 17-30, hier 25. Das Wissenschafts¬
organ im Gau Bürckels, Völkische Wissenschaft [2] (1934/35), 347 stellte Arndts Zitat „Wir
könnten wieder einen neuen deutschen Orden stiften ...“ (Arndt, Rhein, 83) ihrem 11. Heft als
Devise voraus,
David Hansemann, Preußen und Frankreich: Staatswirthschaftlich und politisch, unter
vorzüglicher Berücksichtigung der Rheinprovinz. 2. verbess. u. verm. Aufl. (Leipzig: Rein,
1834), 284; cf. Helmuth von Moltke, „Die westliche Grenzfrage“, Gesammelte Schriften und
Denkwürdigkeiten, Bd. 2: Vermischte Schriften (Berlin: Mittler, 1892), 171-228, hier 221. In
der Rheinkrise 1840/41 scheint der Westmark-Begriff nicht benutzt worden zu sein; Jörg
Echtemkamp, Der Aufstieg des deutschen Nationalismus (1770-1840) (Frankfurt, M.: Campus,
1998), 464-79.
Ottokar Lorenz, Wilhelm Scherer, Geschichte des Elsasses von den ältesten Zeiten bis auf
die Gegenwart: Bilder aus dem politischen und geistigen Leben der deutschen Westmark
(Berlin: Duncker, 1871), 2: 216-30.
Lorenz, Scherer, Geschichte des Elsasses, 2: 232 u. 261.
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