Herzogtum Österreich wurde.100 Doch eine Westmark wurde nicht errichtet, erst
recht keine Westmark gegen das Romanentum.
Begnügen wir uns zunächst mit dem engsten Verwandten des Westmark-Begriffes,
den wir historisch fassen können, dem Ostmark-Begriff. Er eignet sich zum Ver¬
gleich, da er wie der Westmark-Begriff ab Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend
ideologisch gebraucht wurde. In seiner lateinischen Form, Marchia orientalis,
bezeichnete er Mitte des 9. Jahrhunderts ein reales Herrschaftsgebiet im fränki¬
schen Reich, das der Unterwerfung und Christianisierung südosteuropäischer
Slawen diente.101 Wann die Übertragung des lateinischen Begriffes ins Deutsche,
wann also das Wort „Ostmark“ in den Sprachgebrauch kam und literatursprach¬
lichen Rang erhielt, ist unbekannt. Das Deutsche Wörterbuch von Jacob und
Wilhelm Grimm wies „Ostmark“ zum ersten Mal 1867 bei Gustav Freytag aus.102
Vom Mittelalter wurde der Ostmark-Begriff nicht direkt in die Moderne tradiert.
Ein Jahrtausend liegt zwischen „Marchia orientalis“ und „Ostmark“. Der Begriff
wurde im 19. Jahrhundert neu begründet, neu gedeutet und auf die gesamte
Grenze des geschlossenen deutschen Sprachgebietes von der Ostsee im Norden
bis hinunter nach Österreich angewendet.103
Der Westmark-Begriff hingegen hatte keinen geschichtlichen Vorgänger. Wann
und zu welchem Zweck wurde er also konkret eingeführt? Er ist, wie die Aktuali¬
sierung des Ostmark-Begriffes, verhältnismäßig jungen Datums.1(14 Ernst Moritz
Arndt scheint das Wort noch nicht gekannt zu haben,10"’ obwohl bei ihm schon
100 Meyers enzyklopädisches Lexikon in 25 Bänden, 9., völlig neu bearb. Aufl., korr. Nachdr.
1975 (Mannheim: Bibliogr. Inst., 1980), 15: 637; Meyers Taschenlexikon Geschichte in 6 Bän¬
den, hg. u. bearb. v. d. Werner Digel u. d. Red. Geschichte d. Bibliogr. Inst. (Mannheim:
Bibliogr. Inst., 1982) 4: 78; cf. J[ohn] R[obert] V[ictor] Prescott, Political Frontiers and
Boundaries (London: Unwin Hyman, 1987), 47-48.
101 Dokumente zur Geschichte von Staat und Gesellschaft in Bayern, Abt. I: Altbayern vom
Frühmittelalter bis 1800, Bd. 1: Altbavern bis 1180, Bearb. Karl-Ludwig Ay, Vorw. Karl Bosl
(München: Beck, 1974), 177, cf. 132, 19.
102 „Ostmark“, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm
Grimm, Nachdr. 1889 (München: dtv, 1991), 13: 1382; Gustav Freytag, Bilder aus der deut¬
schen Vergangenheit, Bd. 1: Aus dem Mittelalter (Leipzig: Hirzel, 1867), 419-20.
Il)! Karl C[hristian] von Loesch, „Die Westmark: Wort und Inhalt“, Die Westmark, 5 (1937/38),
103-08, hier 103; Hermann Hagspiel, Die Ostmark: Österreich im Großdeutschen Reich 1938 bis
1945 (Wien: Braumüller, 1995), 7 bemühte sich nicht um eine Begriffsklärung von „Ostmark“.
104 „Anmerkung des Herausgebers“, Die Pfalz: Probleme einer Begriffsgeschichte vom Kaiser¬
palast auf dem Palatin bis zum heutigen Regierungsbezirk: Referate und Aussprachen der
Arbeitstagung vom 4.-6. Oktober 1988 in St. Martin/Pfalz, Hg. id., Veröffentlichungen der
Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Speyer, 81 (Speyer: PGFW,
1990), 231. Franz Staab hielt den Westmark-Begriff für ein Produkt aus der Zeit des Ersten
Weltkrieges; Fenske, „Rheinkreis“, 215 ging ihm nur für die 1920-er Jahre nach.
105 E[mst] M[oritz] Arndt, Ueber Volkshaß und über den Gebrauch einer fremden Sprache ([O.
O. u. Verl.] 1813); id., Der Rhein, Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Gränze
(Leipzig: Rein, 1813); id., Noch ein Wort über die Franzosen und über uns ([Leipzig: Rein]
1814). Auch in den von Bernhard Struck untersuchten deutschen Frankreichreiseberichten aus
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fand sich das Wort „Westmark“ noch nicht; Bernhard
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