Kaiserslautern gelehrt hatte.627 Dieser habe als erster den Begriff der Lebenskraft
in die Naturwissenschaft eingeführt und sich bewusst „gegen jeden toten Mecha¬
nismus und formalen Empirismus“ gewendet. Sein Versuch, eine Pflanzensyste¬
matik zu umgehen, sich „mit einer unbefangenen Ursprünglichkeit“ der Natur zu
nähern und seine Auflehnung „gegen den Dogmatismus seiner Zeit, gegen den
Dogmatismus einer internationalen Wissenschaft‘ seien an den Mechanismen
einer starr an der Lehrmeinung festhaltenden Wissenschaft gescheitert: „Gegner
werden totgeschwiegen, Einsprüche überhört und offenbare Unrichtigkeiten und
Unstimmigkeiten stillschweigend beiseite gestellt; es werden Schulen gebildet,
die Schüler werden durch ,Ordensverteilung’ an die Lehrer gefesselt. In den
wissenschaftlichen Zeitschriften lobt man sich gegenseitig, in den Lehrbüchern
schreibt der eine vom andern ab, und niemand geht auf die Quellen zurück. Wer
müßte bei diesen Schilderungen nicht an die jüngste Vergangenheit denken, etwa
an die Art, wie die relativistische Physik ihre Vormachtstellung erobert und
behauptet hat.“ Das Schicksalhafte im Gelehrtenleben Medicus’ sei „der ewige
Gegensatz in der deutschen Geistesgeschichte, der Gegensatz zwischen scholasti¬
scher internationaler Wissenschaft und schöpferischem Denken“. Im Mittelalter
sei es die „international-kirchliche[...j Wissenschaft“ gewesen, in der Neuzeit die
„international-humanitäre“.628 Deutsche Naturwissenschaft fand Ramsauer überall
dort, wo Hergebrachtes überworfen und mit starren Dogmen gebrochen wurde.
In der Abteilung für Geschichte der Naturwissenschaft am Institut für physika¬
lische Chemie der Universität Kiel hatten Wolf und Ramsauer einen Artikel über
den Arzt, Naturwissenschaftler und Volkswirt Johann Joachim Becher verfasst,
der 1635 in Speyer geboren worden war. Aus Becher machten sie einen Vor¬
kämpfer deutscher kolonialer Interessen und des Anschlusses Österreichs.629
Bechers Volkswirtschaftslehre habe sogar die nationalsozialistische Wirtschafts¬
und Rassenpolitik vorweggenommen. Seine alchimistische Naturanschauung, die
auf der paracelsischen Lehre, dem starken „Ausdruck eines von deutscher Inner¬
lichkeit durchstrahlten Erlebens von Welt und Natur“, beruhe, habe sich ebenfalls
nicht gegen den westlichen Mechanismus und Rationalismus behaupten können.630
627 HMP, G/Ramsauer Briefe bis 1939: Ramsauer an Fr. Christmann v. 18.11.1937; Rembert
Ramsauer, „Friedrich Casimir Medicus und die naturwissenschaftlichen Probleme des 18. Jahr¬
hunderts“, Saarpfälzische Abhandlungen zur Landes- und Volksforschung, 2 (1938), 36,57, hier
51 Anhang; HMP, G/Institutssitzungen: Emrich, Spl: Aufgabe und Arbeit [6].
6“8 Ramsauer, „Fr. C. Medicus...“, 50, 47-48, 49-50, 51; cf. HMP, G/Institutssitzungen:
„Wissenschaft aus deutschem Geist: Saarpfälzisches Institut für Landes- und Volksforschung“,
NSZ (9.9.1937).
629 Karl Lothar Wolf, Rembert Ramsauer, „Johann Joachim Becher aus Speyer: Leben und Ge¬
stalt“, Völkische Wissenschaft, 3 (1936(737]), 2-13, hier 7; cf. Rembert Ramsauer, „Johann
Joachim Becher: Leben und Gestalt“, Zeitschrift für die gesamte Naturwissenschaft, 1 (1935/36),
494-511.
630 Wolf, Ramsauer, „Becher“, 12, cf. 13, 5.
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