geraden Weg von der Renaissance zum Empirismus und Rationalismus ge¬
zeichnet. Ramsauer hingegen leugnete, dass der Aufbruch der Renaissance „eine
kontinuierliche, mit Notwendigkeit zur Emanzipation der Vernunft führende
Entwicklung“ dargestellt habe. Für ihn empfing Jeder Mensch die Richtung
seines Denkens aus seiner Rasse, aus seiner Art“. Der im „westlichen Europa,
insbesondere in Frankreich“ vertretenen610 611 ,,moderne[n] Naturwissenschaft mit
ihrem kalten mechanistischen Materialismus“, die versuche „formal beschreibend
zu erklären“, setzte Ramsauer „einen anderen, deutscher Artung gemäßeren Weg
zu naturwissenschaftlicher Erkenntnis“ entgegen, „eine ,subjektive4 Einstellung
zur Natur mit dem Willen, die in ihr wirkenden Kräfte zu erkennen, d. h. sinnlich
schauend zu verstehen“. Die „vor allem den Deutschen eigentümliche Art der
Forschung44 umriss er mit den Begriffen „Ganzheit“, „Anschauung“ und
„schöpferisch“ als „universalen Realismus“. In der den Nationalsozialismus in
vielen Bereichen kennzeichnenden Art, sich nicht festzulegen, um nicht festgelegt
zu werden, weigerte sich Ramsauer, diese geistige Richtung zu „systematisieren
oder in ein Schema“ zu pressen. Um die deutsche und die ,„westliche' Linie der
Naturforschung44 gegeneinander abzugrenzen, bemühte er eine sprechende
Metapher: „Jene beiden Forschungen sind wie zwei Bilder eines Gegenstandes,
von denen das eine ähnlich aber leblos ist, das andere weniger ähnlich, dafür aber
voll Leben erscheint, so voll Leben, daß es gleichsam fähig ist, sich aus sich
selbst zur vollkommenen Ähnlichkeit zu entwickeln.44611 Ramsauer und die
nationalsozialistische Wissenschaftsgeschichte wollten kein getreues Abbild der
Realität, sondern eine biegsame, Gegensatz aufhebende Interpretation, die vorgab,
sich der Wahrheit anzunähern, tatsächlich aber die existierenden Gegebenheiten
der völkischen Ideologie anglich. Sollen und Sein wurden zu „normativen
Wirklichkeiten“ vermengt.612
Rembert Ramsauer
Rembert Ramsauer, der vierte Assistent des Saarpfälzischen Instituts, wurde am
25. Dezember 1910 in Oldenburg geboren.61" Früh wurde er Mitglied in der HJ.
Von 1929-34 studierte er Physik an der TH in München und Berlin und an der
610 Ramsauer, „Atomistik“, 8; cf. Rembert Ramsauer, „Nikolaus Koppernikus ist Deutscher!“
Die Westmark, 5 (1937/38), 48-49, Zitat 48.
611 Ramsauer, „Atomistik“, 2-3, 8, 7; cf. Andreas Kleinert, „Von der Science allemande zur
Deutschen Physik: Nationalismus und moderne Naturwissenschaft in Frankreich und Deutsch¬
land zwischen 1914 und 1940“, Francia, 6 (1978), 508-25, hier 522.
612 Raphael, „Radikales Ordnungsdenken“, 17.
613 Zur Biographie Ramsauers: Johann Christian Poggendorff, Biographisch-literarisches Hand¬
wörterbuch der exakten Naturwissenschaften, Bd. 7a, T. 3: L-R: Berichtsjahre ¡932 bis 1953,
unter Mitwirk. d. Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Göttingen, Heidelberg, München u.
Wien hg. v. d. Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Red. Rudolph Zaunick,
Hans Salié (Berlin: Akad.-Verl., 1959), 669. Rembert Ramsauer war der Sohn des Pastors
Wilhelm Ramsauer; Ramsauer, „Atomistik“, 123: Lebenslauf; ob er mit dem Physiker Carl
Wilhelm Ramsauer verwandt war, ist nicht bekannt.
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