„deutschgeborenen Menschen“ sollten „in die große deutsche Volksfamilie“ zu¬
rückgeholt werden: „Der Weg führt von der Familie zum Volk, zur Volksgemein¬
schaft.“501 Aus dem deutschen Volk wurde eine fürsorgliche Superfamilie.502 Im
nationalsozialistischen Blutbegriff flössen Familie und Volk ineinander. Dement¬
sprechend eifrig wurde die Blut-Metapher bemüht: Mancher Auswandererforscher
steigerte sich in einen wahren „Blut“-Rausch.503 Innenpolitisch erhärtete die De¬
monstration historischer Massenauswanderungen aus Deutschland die These vom
„Volk ohne Raum“ und bereitete die aggressive Expansion psychisch vor. Die
Anrechnung internationaler Leistungen von Deutschstämmigen auf das Konto
deutschen Kulturschaffens verstärkte den nationalen Größenwahn und der deutsche
Volksboden wuchs durch die Addition auslandsdeutschen Grundbesitzes um ein
Vielfaches. Die Idee von einem Volk, dessen Auswanderer als kämpfende „Vor¬
posten“ Sprache und Tradition über Jahrhunderte gegen anstürmendes fremdes
Volkstum verteidigt habe, festigte die Vorstellung von der kulturellen und
rassischen Überlegenheit und diente der geistigen Aufrüstung der deutschen
Gesellschaft. Insgesamt übertrug die nationalsozialistische Auswanderer- und
Auslandsdeutschtumsforschung das in der Geschichtswissenschaft etablierte Modell
vom Primat der Außenpolitik vom Staat auf den einzelnen um seine völkische
Existenz kämpfenden Bauern in den Vorwerken des Deutschtums und versöhnte
somit sublim die alte Machtstaats- mit der neuen Volkstumsgeschichte.
Auch in der Pfalz interessierte man sich für die historische Auswanderung. Ge¬
legentlich wurden vor 1933 in der PGFW auslandsdeutsche Forschungen betrie¬
ben und Verbindungen zu den Nachfahren pfälzischer Auswanderer in Nordame¬
rika gepflegt. Aber der Schutz pfälzischen Deutschtums gegen Frankreich hatte
stets Vorrang vor den Bedürfnissen des Auslandsdeutschtums. Erst als nach der
nationalsozialistischen Ausschaltung konkurrierender Kultureinrichtungen in der
Pfalz und nach der Rückgliederung des Saargebietes die westdeutsche Grenze
kulturell und politisch gesichert schien, konnte man sich entfernterem deutschem
501 August Rupp, „Die größere Volksgemeinschaft“, Unsere Heimat (1937/38), 74-75, hier 75;
cf. HMP, G/Institutssitzungen: „Geschichte und Aufgabe der Gegenwart: Die Tagung der
saarpfalzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften und des Gauschulungsamtes“,
Saarbrücker Zeitung (16.10.1936); Wilhelm Groos f, „Auslanddeutschtum und Familienge¬
schichte“, Hermann Blumenau: Jahrbuch des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland
(Berlin: Grenze u. Ausland, 1937), 68-71, hier 71.
°' „Introduction“, Ethnicity, ed. John Hutchinson, Anthony D. Smith, Oxford Readers (Oxford:
Oxford UP, 1996), 1-18, hier 7; cf. Donald L. Horowitz, Ethnie Groups in Conßict (Berkeley:
U of California P, 1985), 184; Ritter, Das Deutsche Ausland-Institut, 50-51; cf. Ludwig Wein-
kauff, „Jahrestagung des Deutschen Ausland-Instituts in Stuttgart“, Die Westmark, 5 (1937/38),
622-23, hier 622: „Gesamtdeutsche Auswanderungsforschung und stammesgebundene Volks¬
pflege mündeten immer wieder in den Begriff der Großdeutschen Familie ein“.
503 Fritz Braun, „Im Blutstrom Deines Volkes“, Heimatbrief aus der Westmark, 4 (1942) [9-10]
ließ auf 2 Seiten 13 Mal „Blut“ aus seiner Feder fließen; cf. [August] Rupp, „[Besprechung
vom] Jahrbuch für auslanddeutsche Sippenkunde“, Völkische Wissenschaft, 3 (1936/37), 236.
263