Weltkrieg gewöhnte man sich in seinem Amt Rosenberg an den Gedanken, dass
es „eine parteiamtliche Weltanschauung oder eine parteiamtliche Wissenschaft“
nicht geben könne, „denn das hieße die Idee parteiamtlich machen und die
Weltanschauung in eine Doktrin verwandeln“.26
Die These von der Unvereinbarkeit sozialwissenschaftlicher Forschung mit der
Ideologie des NS-Regimes ist seit der Ausweitung kritischer Untersuchungen
unhaltbar geworden. Erste Studien zu den Verflechtungen zwischen universitärer
Forschung und den nationalsozialistischen Wissenschaftseinrichtungen erschienen
in den 1960-er Jahren von Michael H. Kater und Reinhard Bollmus.27 Zur selben
Zeit begann der Prozess der Selbstreflexion in der deutschen Volkskunde.28 Deren
enge Vernetzungen mit den nationalsozialistischen Machthabern wurden in den
1980-er Jahren durch eine Reihe von disziplinhistorischen Werken aufgedeckt.29
Weiter überprüften Geschichtswissenschaften30 und Archäologie ihre früheren Po¬
sitionen. Eine Vorreiterrolle spielte das Buch von Michael Burleigh zur deutschen
Ostforschung.31 In den letzten Jahren gewann die Auseinandersetzung an Breite,
nachdem vor allem Götz Aly und Susanne Fleim zum Zusammenhang von Sozial¬
planung und Massenvernichtung,32 * Ursula Wiggershaus-Müller zur Publikations¬
26 Alfred Baeumler (Amtschef Wissenschaft im Amt Rosenberg) Aktennotiz an Rosenberg v.
April 1944; zit. nach Léon Poliakov, Josef Wulf, Das Dritte Reich und seine Denker (Wies¬
baden: Fourier, 1989), 99. Cf. Lutz Hachmeister, Der Gegnerforscher: Die Karriere des SS-
Führers Franz Alfred Six (München: Beck, 1998), 34.
Michael H[ans] Kater, Das „Ahnenerbe“ der SS 1935-1945: Ein Beitrag zur Kulturpolitik
des Dritten Reiches, 3. AutL, Studien zur Zeitgeschichte, 6 (München: Oldenbourg, 2001);
Reinhard Bollmus, Das Amt Rosenberg und seine Gegner: Studien zum Machtkampf im national¬
sozialistischen Herrschaftssystem, Studien zur Zeitgeschichte [1] (Stuttgart: DVA, 1970).
Hermann Bausinger, „Volksideologie und Volksforschung: Zur nationalsozialistischen
Volkskunde“, Zeitschrift für Volkskunde, 61 (1965), 177-204.
1 Volkskunde und Nationalsozialismus: Referate und Diskussionen einer Tagung der Deut¬
schen Gesellschaft für Volkskunde München, 23. bis 25. Oktober 1986, Hg. Helge Gemdt,
unveränd. Nachdr. 1987, Münchner Beiträge zur Volkskunde, 7 (München: Münchner Vgg. f.
Volkskunde, 1989); Hannjost Lixfeld, Gisela Lixfeld, „Nationalsozialistische Volkskunde und
Volksemeuerung“, Völkische Wissenschaft: Gestalten und Tendenzen der deutschen und öster¬
reichischen Volkskunde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Hg, Wolfgang Jacobeit,
Hannjost Lixfeld, Olaf Bockhorn, in Zsarb. mit James R. Dow (Wien: Böhlau, 1994), 175-331;
Andreas Bruck, „Ist kulturwissenschaftliches Forschen schlechtestenfalls nur harmlos? Eine
Antwort auf Sabine Künsting“, Zeitschrift für Volkskunde, 87 (1991), 79-83; Utz Jeggle,
„Volkskunde im 20. Jahrhundert“, Grundriß der Volkskunde: Einführung in die Forschungs¬
felder der Europäischen Ethnologie, Hg. Rolf W[ilhelm] Brednich. 2., überarb. u. erw. Aufl.
(Berlin: Reimer, 1994), 51-72.
30 Jürgen Elvert, „Geschichtswissenschaft“, Die Rolle der Geisteswissenschaften im Dritten
Reich 1933-1945, Hg. Frank-Rutger Hausmann, Mitarb. Elisabeth Müller-Luckner, Schriften
des Historischen Kollegs, Kolloquien 53 (München: Oldenbourg, 2002), 87-135, hier 88-89.
3! Micheal Burleigh, Germany Turns Eastwards: A Study of Ostforschung in the Third Reich
(Cambridge, MA: Cambridge UP, 1988).
Götz Aly, Susanne Heim, Vordenker der Vernichtung: Auschwitz und die deutschen Pläne
für eine neue europäische Ordnung, 9.-10. Tsd., Die Zeit des Nationalsozialismus: Eine Buch¬
reihe (Frankfurt, M.: Fischer, 1997); Susanne Heim, „Sozialwissenschaftler als Vordenker der
Vernichtung“, Vertuschte Vergangenheit: Der Fall Schwerte und die NS-Vergangenheit der
deutschen Hochschulen, Hg. Helmut König, Wolfgang Kuhlmann, Klaus Schwabe (München: Beck,
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