Wie viele Geographen seiner Zeit glaubte Sante an die Existenz natürlicher
Grenzen, die sich dem gelehrten Beobachter von selbst aufdrängten, und an die
Idee, „kollektive Schicksale aus den Relieflinien physisch-geografischer Karten“
ablesen zu können.'2 Im Juni 1930 zeichnete er einen „Erläuterten Plan des Saar-
Atlas“.373 Die Grenzen des Saargebiets seien „nicht aus wissenschaftlichen
Gründen, sondern von politischen Kräften gezogen“ worden.374 Als ein durch den
Versailler Vertrag diktiertes Gebilde durften daher weder das Saargebiet noch das
engere Industriegebiet die räumliche Grundlage des Kartenwerkes bilden.3 ' Ziel
des Saar-Atlasses sei es vielmehr, durch die Darstellung der „geographischen,
historischen, kulturellen und wirtschaftlichen Fragen der Grenzlandschaft an der
mittleren Saar“, ihrer Verbindung mit den Rheinlanden, der Beziehungen zu
Lothringen und der allgemeinen deutsch-französischen Grenzproblematik die
„Wurzellosigkeit“ eines selbständigen Saargebietes aufzuzeigen.'76 * Sante dachte
über das Saargebiet hinaus. Nach Osten beschreibe der Saar-Atlas die saarlän¬
dische „Zugehörigkeit zu Deutschland“ und nach Westen zeige er „die Einwir¬
kung nach Lothringen“, um dem „inneren Verzicht auf das deutsche Lothringen“
entgegenzuwirken:777 „Die Franzosen behaupten die Zusammengehörigkeit von
Lothringen und der Saarlande und folgern daraus Ansprüche auf das Saargebiet.
Die deutsche Wissenschaft kann den Zusammenhang zwischen Mosel und Saar
anerkennen, da er unleugbar besteht, aber sie kann daraus auch die umgekehrte
Folgerung ziehen.“378
Sante hatte durch Friedrich Sieburg, Gott in Frankreich, die Bedeutung der
taktisch-strategischen Sicherheit für Frankreich erkannt.379 Diesen militärischen
Begriff von Sicherheit wollte er kulturpolitisch und völkisch aushebeln: Sicher¬
heit sei nur durch die Erkenntnis der Eigenarten einer Bevölkerung zu erhalten.
Der französischen „SYaa/.vnation“ stellte er die „deutsche Kulturnation“ gegen¬
über: Frankreichs Grenzbegriff sei „politisch im engsten Sinne, Ausdruck der
'72 In Anlehnung an den Handleser, den Chiromanten, nannte H.-D. Schultz, „Land - Volk -
Staat“, 16 diese Überzeugung „Kartomantie“; cf. Mehmel, „Deutsche Revisionspolitik“, 504-05.
' ' HessHStA, 1150/75, Bergwerksdirektion: [Sante] Denkschrift ... Saaratlas; 1150/68: Sante,
„Erläuterter Plan des Saar-Atlas“ [Anlage zu Sante an Aubin v. 2.6.1930]; cf. Linsmayer,
Politische Kultur, 354.
374 HessHStA, 1150/68: [Sante] „Erläuterter Plan des Saar-Atlas“ [v. 2.6.1930], 1.
375 HessHStA, 1150/75, Bergwerksdirektion; [Sante] Denkschrift ... Saaratlas, 1-2, Zitate 2;
HessHStA, 1150/68: Aubin an Sante v. 31.1.[1930], 1 (Auszug aus den Schreiben von Aubin
an Sante).
'76 HessHStA, 1150/68: Sante, Grundlinien des Saar-Atlas v. 6.3.1930, 2 u. 1.
1 HessHStA, 1150/75, Bergwerksdirektion: [Sante] Denkschrift ... Saaratlas, 2.
,78 HessHStA, 1150/68: Sante, Grundlinien des Saar-Atlas v. 6.3.1930, 1.
379 HessHStA, 1150/69: Sante an Aubin v. 28.4.1931, 2, 4. Für Friedrich Sieburg, Gott in
Frankreich? Ein Versuch, 2., unveränd. Aufl. (Frankfurt, M.: Societät, 1930), 90-93, war
Frankreich das Land selbstzufriedener Kleingärtner und Rentner, cf. 280, 293.
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