Gemeindetag sprach sich gegen eine weitere Zentralisierung in der Gas¬
versorgung aus. Energieerzeugung und Energieverteilung müssten eine
öffentliche Aufgabe bleiben, wobei besonders die Gemeinden aus na¬
türlichen Gründen zur Erfüllung der örtlichen Versorgungsaufgaben in
der Lage seien.231 233 Neben der Bedeutung der Gemeindewerke als unver¬
zichtbare Einnahmequelle der Kommunen, gewährleisteten gerade die
kommunalen Energieversorgungsunternehmen die enge Verknüpfung
zwischen Energiepolitik und sonstigen staatlichen Aufgabenfeldern wie
dem Siedlungs- und Wohnungswesen, der Städteplanung, der In-
dustrieansiedlung und der Verkehrspolitik.
Auf der anderen Seite forderte die Ferngaswirtschaft, die Gaserzeugung
aus Gründen der volkswirtschaftlichen Rationalisierung weiter zusam¬
menzufassen. Nicht zuletzt aus militärpolitischen Erwägungen sei es er¬
forderlich, die bis dahin isolierten Versorgungsgebiete der Ferngaswirt¬
schaft über Ring- und Kupplungsleitungen zusammenzuschließen, um
auf diese Weise möglichen Produktionsausfällen durch Aushilfsliefe¬
rungen begegnen zu können. Zudem gewährleiste nur die Ferngasver¬
sorgung die Erschließung neuer Absatzgebiete und damit die "Auflocke¬
rung der Industrie". Auf diese Weise könne die Gaswirtschaft einen Bei¬
trag zur Siedlungspolitik leisten und Nachteilen, wie sie in Industriere¬
vieren anzutreffen seien, entgegenwirken. "Die Ferngasversorgung ermög¬
licht, daß nach und nach Betriebe (...) sich irgendwo an den Hauptgasleitungen an¬
siedeln, wo der Gefolgschaft durch ländliche Siedlung eine krisenfeste, bodenverbun¬
dene Hebensführung möglich ist“.2?>2
Geschickt erkannten die Ferngasunternehmen auch die arbeitsmarkt¬
politischen Effekte, die die weitere Ausdehnung des Leitungsnetzes mit
sich brachte. Mit Hilfe dieser Argumentation gelang es ihnen, die
volkswirtschaftlichen Pläne zur Arbeitsbeschaffung - neben dem Auto¬
bahnbau galt der Ausbau der Ferngasversorgung als bevorzugtes Ob¬
jekt der Arbeitsbeschaffung - mit den eigenen betriebswirtschaftlichen
Interessen zu verbinden. Gerade solche Projekte seien förderungswür¬
dig, "die die Ergiebigkeit des deutschen Bodens oder die bessere Ausnutzung unserer
Bodenschätze gewährleisten''.233 Federführend forderte die RAG u.a. eine
Ferngasleitung zwischen dem Ruhrgebiet und Berlin, da mit dem beab¬
sichtigten Investitionsvolumen von etwa 80 Mio. RM 16.000 Arbeiter
231 Der Gemeindetag 1935, Nr. 18: Stand der energiewirtschaftlichen Arbeiten, S.
561; auch GWF, 78. Jg. (1935), Nr. 40, S. 761 f.
232 Hamp (1934), Blatt 2; auch Burgbacher (1934), S. 366; Eggers (1937), S. 355
233 Vossische Ztg. vom 28.9.1933: Arbeitsbeschaffung durch Ferngas; auch Kölni¬
sche Ztg. vom 28.9.1929: Ferngas in Front; Rheinisch-Westfalische Ztg. vom
28.9.1933: Gasfernversorgung und Arbeitsbeschaffung; Köhn (1933); Platow (1934),
S. 1677 ff.; Hamp (1934)
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