vom Gaswerk Lübeck. Vergleichende Investitionsrechnungen ergaben,
dass sich die Anlagekosten einer eigenen Gasanstalt in Travemünde im
Vergleich zu einer Fernversorgung wie 1:1,5, die Betriebskosten jedoch
wie 1:0,35 verhielten. Folglich wies eine Fernversorgung Kostenvorteile
auf. Die Fortleitung des Gases erfolgte auch hier über ein Kapselradge¬
bläse unter Flochdruck.150 Während in Travemünde das angelieferte
Gas durch einen Stadtdruckregler auf Niederdruck gedrosselt und das
Gas in kleinen Gasometern gespeichert wurde, arbeitete die Gruppen¬
gasversorgung im Umland von Heidelberg ohne Zwischenbehälter, also
gewissermaßen nach amerikanischem System. Insgesamt sieben Ge¬
meinden nahmen Gas von dieser Leitung ab.151 Große Verbreitung
fand die Gruppengasversorgung auch in den Vororten von Berlin. Die
größte Gruppengasversorgung baute die Deutsche Kontinental-Gasge-
sellschaft 1905 im oberschlesischen Industrierevier. Die Gaszentrale
befand sich in Königshütte, welche über ein rund 100 Kilometer langes
Rohrnetz elf Gemeinden und Städte mit rd. 180.000 Einwohnern belie¬
ferte.152
Zwischen 1900 und 1909 gingen in Deutschland mehr als 30 derartige
Zentralen in Betrieb, woraus 105 Ortschaften versorgt wurden. Davon
arbeiteten 18 mit Zwischenbehältern und mechanischer Druckerhö¬
hung unter Benützung von Gebläsen und 15 ohne Zwischenbehälter.153
1912 erhielten in Deutschland bereits 393 Ortschaften mit 2,5 Mio.
Einwohnern den Energieträger über eine Fernleitung.154 Die so genann¬
ten Überlandzentralen besaßen somit im Hinblick auf die Ausweitung
der Gasversorgung vor allem im ländlichen Raum eine wichtige
Funktion: "Der weitaus grösste Teil der Femversorgung erstreckt sich auf die
Handbevölkerung und hat sich die Gunst derselben in ausserordentlichem Masse er¬
worben. Denn als Wärmequelle hat sich das Gas sehr wirtschaftlich erwiesen und
der Gasmotor wohl auch als bequeme und billige Betriebskraft besonders in der
Kleinindustrie; und so wurde der Absatq gu Kraftwerken gehoben, allenthalben in
Stadt und Land”.155
Die Ausdehnung der Gasversorgung auf neue Absatzgebiete erforderte
neue Betriebsformen und Organisationsmodelle, die der fehlenden Fi-
150 Ygj joo Jahre Lübecker Gasversorgung (1954), S. 61 f.
151 Vgl. Veith (1914), S. 21 f.
152 Vgl. Kuckuck (1909), S. 1065; Sander (1914), S. 52
Über die Verbreitung der Gruppengasversorgung bestehen unterschiedliche An¬
gaben. Während Kuckuck (1909), S. 1065 und Sander (1914), S. 52 von 105 Gaszent¬
ralen mit 344 angeschlossenen Ortschaften sprechen, schätzt Geitmann (1910), S. 53
die Verbreitung auf 54 derartige Anlagen und 148 angeschlossene Ortschaften.
154 Vgl. Petzold (1913), S. 202
155 petzoy (I9l4y S. 12; auch Kuckuck (1909), S. 1066
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