Full text: Das Saarland im doppelten Strukturwandel 1956 - 1970

Weiterhin waren abgesehen von der auch bereits seit der Zwischenkriegszeit ge¬ 
schrumpften Landwirtschaft120 im Saarland der späten 50er Jahre auch andere Wirt¬ 
schaftszweige - z.B. die weiterverarbeitende Industrie, die Konsum- oder die Inves¬ 
titionsgüterindustrie - im Vergleich zum nationalen Durchschnitt Frankreichs oder 
Deutschlands deutlich unterrepräsentiert.121 * Nach den Verschiebungen der 
deutsch-französischen Grenze seit der Zwischenkriegszeit entstanden - neben den 
ordnungspolitischen Konsequenzen -l2~ im Saarland ganze Branchen und Markt¬ 
segmente, die sich teilweise völlig anders als die beiden nationalen Binnenmärkte 
entwickelten. Sehr deutlich wird dies im Bereich der Investitionsgüterindustrie, die 
sich besonders seit den 20er Jahren im Saarland herausgebildet hatte, nachdem die 
Lieferbeziehungen des Saarlandes und auch der angrenzenden französischen Gebiete 
zu ihren deutschen Lieferanten weitgehend unterbrochen worden waren und sich 
somit eine Marktlücke für im Saarland gefertigte Ersatzprodukte gebildet hatte. Dies 
führte zu einer unter regionalwirtschaftlicher Perspektive durchaus nicht überraschen¬ 
den geringen Erwerbsquote bei vollständiger Ausschöpfung des Arbeitskräftepotenti¬ 
als.12’ Diese Unternehmen verfügten jedoch durchweg nicht über ausreichende 
Betriebsgrößen und -ausrüstungen, um im deutschen Markt bestehen zu können, und 
120 Jutta Müller, Die Landwirtschaft im Saarland. Entwicklungstendenzen der Landwirtschaft eines 
Industrielandes, Saarbrücken 1976 (= Veröffentlichungen des Instituts für Landeskunde des Saarlandes 
23), S. 37. 
121 Umfangreiches Zahlenmaterial für die vergleichende Perspektive liefern die beiden Prognos-Studien: 
Uebe, Industriestruktur, und Dieter Schröder, Strukturwandel. Besonders aufschlußreich sind die metho¬ 
dischen Vorüberlegungen von Dieter Schröder, die das bis heute ungelöste Problem der mangelnden 
Datenbasis für regional disaggregierte Untersuchungen der 50er und frühen 60er Jahre erläutern, das z.B, 
bei Uebe zur weitgehenden Vernachlässigung des Saarlandes geführt hat. Andererseits darf der Beitrag 
kleinerer und mittlerer Unternehmen zur regionalen wirtschaftlichen Entwicklung nicht unterschätzt 
werden, vgl. Margit Grabas unter Mitarbeit von Paul W. Frey, Der vergessene Mittelstand - Entwicklung 
und Bedeutung kleiner und mittelgroßer Unternehmen an der Saar in der Zeit des krisenhaften Struktur¬ 
wandels 1873 bis 1894/95, in: Vierteljahrschrift tür Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 89 (2002), S. 41 -71. 
122 Vgl. besonders zum 19. und frühen 20. Jahrhundert François Reitel, Die Veränderungen der politischen 
Grenzen im Saar-Lor-Lux-Raum und ihre wirtschaftlichen und regionalen Konsequenzen, in: Soyez u.a. 
(Hgg.), Saarland, S. 127-138. Zu den 20er Jahren im Saarland: Dittrich, Wirtschaftsverhandlungen. Der 
Gedankengang einer Benachteiligung des Saarlandes - aber auch der angrenzenden französischen Gebiete 
- schlug sich in teilweise eindeutig propagandistischer Verwendung in verschiedenen Arbeiten zur 
regionalen Wirtschaftsstruktur nieder. Besonders zu nennen sind die Arbeiten von Overbeck, Kulturland- 
schaftsforschung, der übrigens nach 1943 am Lothringischen Institut für Landes- und Volksforschung in 
Metz tätig war. Vgl. zur Biographie Overbecks: Wolfgang Freund, Volk, Reich und Westgrenze: Wissen¬ 
schaften und Politik in der Pfalz, im Saarland und im annektierten Lothringen 1925-1945, (Diss.) Saar¬ 
brücken 2002, S. 1 10-121. Ähnlich wie Overbeck argumentierten aber z.B. auch Hellwig, Verflechtung, 
S. 165, und Bosch, Saarfrage, S. 67. Zugespitzt hierzu: Jean-Paul Lehners, Menschen über Grenzen - 
Grenzen über Menschen. Zu den Begriffen Region, Raum und Grenze am Beispiel des 
Saar-Lor-Lux-Raumes, in: Edwin Dillmann (Hg.), Regionales Prisma der Vergangenheit. Perspektiven der 
modernen Regionalgeschichte (19./20. Jahrhundert), St. Ingbert 1996, S. 67-86, hier: S. 85. 
122 Hier wirkte sich die hohe Zahl von aus gesundheitlichen Gründen arbeitsunfähig gewordenen Männern 
aus, wobei gleichzeitig bei den Frauen gegen die Aufnahme einer Beschäftigung nicht nur die traditionell 
vermittelte Lebensweise und das saarländisch-französische Soziallohnsystem, sondern ganz rational auch 
die im Vergleich zu den Löhnen von Männern in der Schwerindustrie viel zu geringen Löhne sprachen. 
Vergleiche hierzu die Auswertung von statistischen Erhebungen und Umfragen (aus dem Jahr 1960!) in: 
Liepelt u. Loew, Menschen, S. 16. 
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