3 Handlungsspielräume und Reformansätze der Landespolitik
3.1 Haushaltspolitik in der Krise
3.1.1 Die Zuspitzung der Finanzkrise
Ganz im Gegensatz zur strukturpolitischen Debatte wurde in der Finanzpolitik nach
der Landtagswahl von 1965 kein Neuansatz gesucht. Insbesondere die erfahreneren
Parlamentsabgeordneten legten die Finanzmisere des Saarlandes in aller Deutlichkeit
dar1 und stellten den Zusammenhang zwischen der Haushaltssituation des Landes, der
Finanzierung der Gemeinden und der Ansiedlungspolitik in aller Deutlichkeit her.2
Nach den günstigeren Ergebnissen in 1964 rechnete auch der Finanzminister für das
Jahr 1966 wieder mit einem Überhang der Ausgaben.’ Sorgen bereitete auch die
erneut um ca. 100 Mio. DM auf nun mehr als 1 Mrd. DM angestiegene Verschuldung
und die Tatsache, daß die Zuwachsrate im Landeshaushalt zwar nur 5% betrug, daß
aber der außerordentliche Haushalt trotzdem fast vollständig durch die Aufnahme
neuer Schulden zu finanzieren war. Einzig die - geplante - Erhöhung der Einnahmen
aus Ertragssteuern führte Koch als positives Zeichen für die fortschreitende Stabili¬
sierung der Saarwirtschaft an. Hoffnung versprach auch die in Rede stehende Entla¬
stung des Haushaltes durch Sondermittel aus Bonn und vor allem durch die Über¬
nahme von 250 Mio. DM Altschulden durch die Bundesregierung.4 Angesichts dieser
Zahlen mahnte der Minister in aller Deutlichkeit Reformen auf der Ausgabenseite an.
Insbesondere der öffentliche Wohnungsbau, der den Landeshaushalt bereits seit der
unmittelbaren Nachkriegszeit belastete, wurde hinterfragt.5
1 Bes. Erwin Müller (S VP/CVP), in: LTDS, 5. WP, Abt. 1,4. Sitzung v. 23.7.65, S. 37, der seine Kollegen
daher aufforderte, weiterhin „wie ein Mann“ hinter dem Finanzminister zu stehen, wenn er in Bonn
verhandele.
2 So Karl Heinz Schneider (SPD) in: ebd., S. 46. Schneider kritisierte besonders die bereits viermal
erfolgte Novellierung des Kommunalen Finanzausgleichs, die zeige, daß die Regierungspolitik hier „kein
Meisterstück“ gemacht habe.
3 Nach den Zahlen des Ministers hatten sich für 1964 sogar leichte Überschüsse ergeben; diese Analyse
erwies sich jedoch bei der Haushaltsrechnung als falsch. Vgl. zum folgenden die Haushaltsrede von
Minister Koch in: LTDS, 5. WP, Abt. 1, 8. Sitzung v. 11.11.65, S. 1 OOff.
4 Der Bund verzichtete im Zusammenhang mit der Debatte um die Erhöhung seines Anteils an Ein¬
kommen- und Körperschaftsteuer von 38% (1963) auf 39% (1966) auf die Rückzahlung von Altschulden
des Saarlandes in Höhe von 250 Mio. DM, So war die Zustimmung der Länder möglich, um dem Saarland
weitere 35 Mio. DM als Sonderlastabzug im horizontalen Finanzausgleich zukommen zu lassen; vgl.
hierzu Renzsch, Finanz Verfassung, S. 170ff. und S 197. Bei den 250 Mio. DM Altschulden handelte es
sich der Sache nach um diejenigen Betriebsmittel, die noch in der Phase der Teilautonomie zur Deckung
der Haushalte aufgenommen worden waren und die im Zuge der Übergangszeit nur teilweise durch
verlorene Zuschüsse des Bundes ausgeglichen worden waren; bei der Bereinigung der Finanzverhältnisse
bei der Eingliederung des Saarlandes waren, wie bereits erwähnt, die Verpflichtungen gegenüber Frank¬
reich zwar vom Bund übernommen worden, gleichzeitig war jedoch derselbe Betrag als Kredit des Bundes
für das Saarland ausgewiesen worden.
5 Daß im Bundesvergleich von einer echten Wohnraumnot im Saarland gar nicht mehr gesprochen werden
könne, sei „ein Umstand, der zu einer generellen Überprüfung der Wohnungsbauforderung Anlaß geben
sollte“. Im Prinzip sei Wohnungsbau im Saarland längst bereits ein Instrument der Eigentumsbildung,
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