Full text: Das Saarland im doppelten Strukturwandel 1956 - 1970

den späten 50er und frühen 60er Jahren nötig. Erst auf dieser Basis konnte die 
„Erfolgsstory“ saarländischer Strukturpolitik glaubwürdig entwickelt und zumindest 
prinzipielle Zustimmung zum Strukturprogramm Saar als kontingentem Ent¬ 
wicklungskonzept herbeigeführt werden. Allerdings waren in allen Fraktionen ein¬ 
zelne Politiker zu finden, die zu einem solchen Konsens nicht bereit waren. Mögli¬ 
cherweise erklärt diese politische Zwangslage zum Teil auch die wachsende Bedeu¬ 
tung, die dem Projekt einer Kanalanbindung zugemessen wurde: Neben ihrer - 
allerdings aus nicht unumstrittenen Prognosen zur künftigen Entwicklung abgeleiteten 
- ökonomischen und neben der aus den früheren Phasen der Strukturdebatte resultie¬ 
renden politischen Bedeutung wurde diese Frage zur Nagelprobe für die Ent¬ 
wicklungskonzeption der Saar-Regierung erhoben. 
Dieser Dissens verweistaufeinen ersten Problembereich bei der historischen Analyse 
der Krisenperzeption und der Strukturpolitik der späten 60er Jahre, nämlich den 
Konflikt zwischen „neuer Politik“"x und traditionellen Themengebieten und Lösungs¬ 
ansätzen. Praktisch alle konkreten Sachgebiete der Debatten der späten 60er Jahre - 
wie z.B. die Standortfrage - waren bereits früher Gegenstand der politischen Ausein¬ 
andersetzung im Saarland gewesen. Nicht zuletzt aufgrund ihrer engen Verzahnung 
mit politischen Ebenen bis hin zu europäischen Gremien waren Erfolg und Mißerfolg 
einzelner Lösungsansätze jedoch kaum präzise zu bestimmen. Die erprobten Lö¬ 
sungsansätze und Handlungsmuster der regionalen Politik wurden jedoch seit den 
Jahren 1966/67 grundsätzlich hinterfragt, als die wirtschaftliche Entwicklung als 
existenzgefährdender Ausdruck struktureller Defizite interpretiert wurde. Dabei 
brachten neugewählte Abgeordnete wie z.B. Nikolaus Fery oder Manfred Zeiner - 
aber auch neu ins Kabinett eintretende Minister wie Reinhard Koch und Helmut 
Bulle - zur Mitte des Jahrzehnts neue politische Konzepte in die Diskussion ein. 
Dieser Prozeß forderte die Integrationskraft der politischen Parteien, die diese neuen 
Ansätze in ihre Programmatik aufnehmen mußten. Bei den Sozialdemokraten deutet 
die Desavouierung ihres Partei- und Fraktionsvorsitzenden auf Überforderung hin; 
erschwerend wirkte auch, daß das Führungspersonal der SPD selber in der Phase 
ihrer Regierungsbeteiligung die Grundlagen der nun abzulösenden politischen Kon¬ 
zepte mitgetragen hatte. Bei den Christdemokraten dagegen scheint ihre Regierungs¬ 
funktion diesen Integrationsprozeß erleichtert zu haben, insofern der Ministerprä¬ 
sident - auch durch politisch-organisatorische Maßnahmen - neue Politik in Form 
eigener, differenziert ausgearbeiteter und mit einem hohen Verbindlichkeitsgrad 
ausgestatteter Texte adaptierte. Daß dabei regionalpolitische Methoden eingesetzt 
wurden, die reformerische Kräfte schon seit längerem einforderten, fand kaum 
Beachtung. Allerdings erklärt dies die Grundstruktur vor allem des Saar-Memoran¬ 
dums: Dieser Text diente überwiegend zur Klärung früherer Streitpunkte der inner¬ 
saarländischen Diskussion und zur Modernisierung der dort diskutierten Konzepte 
1,8 Vgl. hierzu die methodischen Erwägungen von Schmitt, Neue Politik, bes. S. 68ff, 
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