Drittens ist schließlich interessant zu beobachten, daß die Thematisierung der Krise
durch die Politik der Bundesebene auf regionaler Ebene krisenverschärfend wirkte.
Nicht nur die trotz der gewonnenen Bundestagswahl ausbleibende Stabilisierung der
Bundesregierung, sondern auch konkrete Maßnahmen wie das Stabilitätsgesetz
förderten die Zuspitzung der regionalpolitischen Debatte im Saarland. Die in der
grundsätzlichen Diskussion um die bundesdeutsche Wirtschaftsordnung entwickelten
Betrachtungen wurden offenbar von der saarländischen Politik zum Anlaß genom¬
men, ihre regionalpolitische Debatte zu präzisieren. Gleichzeitig bot das von den
bundespolitischen Akteuren abgesteckte Diskussionsfeld den regionalen Politikern
die Möglichkeit, ihre jeweiligen Ansätze zu verorten und systematisch in konkurrie¬
rende Politikmodelle einzuordnen.* 4 Dies hatte auch Rückwirkungen auf organisatori¬
sche Aspekte der Landespolitik und auf deren politischen Stil: Unmittelbar nach der
Fertigstellung des Saar-Memorandums setzte das saarländische Kabinett einen
interministeriellen Lenkungsausschuß ein, der die Umsetzung der in diesem Text
genannten Ziele koordinieren und die Aufstellung einer „mittelfristigen Finanz¬
planung für das Land“ durchführen sollte.45' Bei diesem Gremium handelte es sich -
wie hier auch schon der Name andeutet - offensichtlich um einen Rückgriff auf In¬
strumente der Übergangszeit; möglicherweise stellte der Lenkungsausschuß auch den
Versuch dar, die bei der Erstellung des Memorandums übergangenen Ressorts zu
großen Teil der späteren Perzeption der regionalpolitischen Debatte. Aus der staatlichen Aktenüberliefe¬
rung ist dieser Aspekt natürlich nur schwer zu klären; immerhin gibt der Hinweis bei Fabry, Bauen,
S. 206, daß die saarländische Bauindustrie Anfang der 60er Jahre „zu den schärfsten Gegnern“ der
Ansiedlung neuer Unternehmen gezählt habe und damit „nicht nur die Regierung, sondern auch die
Öffentlichkeit gegen sich“ aufgebracht habe, Aufschluß darüber, daß nicht nur die Großindustrie dem
Strukturwandel durch Ansiedlungspolitik skeptisch gegenüber eingestellt war. Bemerkenswert ist
weiterhin der bereits zitierte Hinweis darauf, daß der geringe Anteil der Lohnkosten an den Gesamtkosten
in der Roheisenphase die durch die Konkurrenz um Arbeitskräfte möglicherweise eintretende Erhöhung
der Arbeitskosten in ihrer Relevanz für untemehmenspolitische Entscheidungen der Eisen- und Stahl¬
produzenten relativiert. Auch hier ist eine stärkere Rückwirkung allenfalls auf die weiterverarbeitende
Industrie - mithin die kleineren Unternehmen - anzunehmen, jedenfalls wird im folgenden zu zeigen sein,
daß die arbeitsmarktpolitischen Konsequenzen nur einen geringen Ausschnitt der mit der Strukturwandel¬
politik verbundenen Problemstellung beschreiben.
4 Interessanterweise wurde dieser Teil der Debatte weitgehend von den , jungen“, also in dieser Legisla¬
turperiode erstmals in den Landtag gewählten Abgeordneten intensiv genutzt. Dabei handelte es sich
jedoch stets um eine Form der „Umwertung“, also der begrifflichen (Neu-)Besetzung von Elementen der
auf Bundesebene entwickelten Politikmodelle, die um aus der regionalen Tradition stammende Versatz¬
stücke der regionalpolitischen Debatte angereichert wurden. Sehr gute Beispiele für diesen Ansatz lieferte
immer wieder Nikolaus Fery (CDU), der z.B. die Schillersche Konzeption von Wirtschaftspolitik als
„globale Planiflkation“ problematisierte; vgl. LTDS, 5. WP, Abt. I, 13. Sitzung v. 9.3.66, S. 262. Vgl.
hierzu auch Christoph Loew, Wirtschaftspolitischer Kurswechsel, in: Die Arbeitskammer. Zeitschrift der
Arbeitskammer des Saarlandes 15 (1967), S. 1, der mit „Kurswechsel“ auf die Bundespolitik anspielt und
neue Konzepte im Saarland fordert: „Die neuen Schwerpunkte der Regierungspolitik verpflichten das
Saarland zu eigenen Anstrengungen, und zwar nicht nur zu Anstrengungen finanzieller Art, sondern auch
und vor allem zu Anstrengungen ideeller Art.“
48 Der Ausschuß bestand aus Vertretern des Innenressorts, des Wirtschafts- und des Finanzministeriums,
des Ministeriums für Öffentliche Arbeiten und Wiederaufbau und agierte unter Geschäftsführung der
Staatskanzlei, vgl. hierzu: LASB StK 1747, Kabinettsprotokoll v. 16.6.67.
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