Die Lösung der Saarfrage schloß damit zwar praktisch nahtlos an die vorangegange¬
nen Versuche zur Lösung der Saarfrage an,5 durch ihren engen Bezug zu einem
Volksentscheid hebt sie sich allerdings von den sonstigen diplomatischen Bemühun¬
gen im Zuge der europäischen Integration ab. Die Ablehnung des nach verschiedenen
Phasen der Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich vorgelegten europäi¬
schen Statuts für das Saarland im Referendum vom 23. Oktober 1955, das eigentlich
bereits die Lösung des Saar-Konflikts hätte bringen sollen, löste eine wissenschaftli¬
che Kontroverse über die Bewertung der Luxemburger Verhandlungen aus. Gudrun
Schwarzer geht davon aus, daß der Saar-Konflikt bereits mit dem Ausgang des
Referendums als gelöst zu betrachten sei.6 * Ähnliche Einschätzungen vertreten Hans-
Walter Herrmann und Andreas Wilkens, die annehmen, daß bereits bei Verhand¬
lungsbeginn ein weitreichender Konsens zwischen Deutschland und Frankreich
darüber vorlag, daß und auch wie die Saarfrage zu lösen sei. Dagegen betont
Jean-Paul Cahn die Widerstände innerhalb der französischen Politik und Öffentlich¬
keit gegen eine Eingliederung der Saar nach Deutschland,8 während zwei Zeitzeugen¬
berichte sogar von der mehrfach eintretenden Gefahr eines Scheiterns der Verhand¬
lungen sprechen.9 Daher stellt sich die Frage, ob die Bereinigung des deutsch-franzö¬
sischen Verhältnisses durch die Saarverhandlungen hauptsächlich als diplomatische
Fixierung einer bereits vorher, von „außen“ geradezu zwanghaft herbeigeführten
Tatsache zu verstehen ist oder ob in den Verhandlungen nicht doch konstruktives Ar¬
beiten an der Lösung der Saarfrage als einer Vorbedingung für die europäische Inte¬
gration gefordert war.
Inhaltlich gerieten bei den Luxemburger Verhandlungen Themen auf die Agenda, die
während der Phase der saarländischen Teilautonomie der saarländisch-französischen
Ebene Vorbehalten geblieben waren. Die französische Politik hatte nach der Grün¬
dung des Saarlandes gegen teilweise massiven internationalen Druck die Regelung
des saarländischen Sonderstatus’ in wirtschaftlicher, finanzieller, außenhandels¬
politischer und teilweise auch juristischer Hinsicht in Form von Konventionen, d.h.
pondenz des deutschen Delegationsleiters Rolf Lahr, vgl. Adolf Blind, Unruhige Jahre an der Saar 1947
bis 1957. Ein Zeitzeuge erinnert sich, 2 Bde. Frankfurt a.M. 1997, hier v.a. Bd. 2, und Rolf Lahr, Zeuge
von Fall und Aufstieg. Private Briefe 1934-1974, Hamburg 1981.
5 Einen Überblick über die vorangegangenen Lösungsversuche bietet Bruno Thoss, Die Lösung der
Saarfrage 1945/1955, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 38 (1990), S. 225-288.
6 Schwarzer, Konfliktregelung, S. 26. Ähnlich auch: Gerhard Paul. Von der Bastion im Westen zur Brücke
der Verständigung. Saarländische Geschichte 1815-1957, in: Das Saarland - Der Chef der Staatskanzlei
(Hg.), Das Saarland. Politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung, Saarbrücken 1991, S. 23-50,
hier: S. 47; Wilfried Fiedler, Die Rückgliederung des Saarlandes an Deutschland - Erfahrungen für die
Zusammenarbeit zwischen Bundesrepublik Deutschland und DDR? Staats- und völkerrechtliche Überle¬
gungen, in: Juristenzeitung 45 (1990), S. 668-675, hier: S. 671.
1 Hans-Walter Herrmann, Modellfall, S. 44, spricht davon, daß Frankreich „das Ergebnis des Referendums
nüchtern realpolitisch wertete und schon drei Wochen danach zu neuen Saarverhandlungen mit der
Bundesregierung bereit war“; ähnlich Wilkens, Einleitung, S. 9f.
8 Cahn, Second retour, S. 114ff.
9 Besonders dramatisch die Schilderung von Lahr, Zeuge, S. 244ff.
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