1 Die Lösung der Saarfrage zwischen Paris und Bonn
1.1 Internationale und nationale Politik unter geänderten Vorzeichen
1.1.1 Die Saarfrage nach dem 23. Oktober 1955
Mitte der 1950er Jahre war das Saarland geradezu zum Dauerthema internationaler
Konferenzdiplomatie geworden. Anfangs noch stark mit der Entwicklung der
deutschlandpolitischen Konzeptionen der Alliierten verknüpft, hatte sich die Saar¬
frage nach der Gründung der Bundesrepublik zu einem regelmäßigen Tagesordnungs¬
punkt von Verhandlungen zwischen Deutschland und Frankreich entwickelt. Der
Konflikt um die nationale Zugehörigkeit des Saarlandes galt für die deutsch-fran¬
zösische Annäherung und damit die europäische Integration als eines der wesentli¬
chen Hindernisse. Auf dem Weg zur Lösung dieses Konfliktes stellt die Unterzeich¬
nung des sogenannten Saarvertrages1 am 27. Oktober 1956 einen wichtigen Schritt
dar. Zu dessen Vorbereitung waren im Laufe dieses Jahres umfangreiche und kom¬
plex strukturierte diplomatische Verhandlungen in mehreren Etappen und an ver¬
schiedenen Orten nötig. Neben einem eigens hierfür einberufenen Regierungsgipfel
im Juni 1956 fanden mehrere Minister- und Staatssekretärskonferenzen sowie eine
Vielzahl von Expertengesprächen statt. Als Endpunkt des jahrelangen Streits zwi¬
schen Deutschland und Frankreich fand dieser diplomatische Prozeß in der Forschung
einige Aufmerksamkeit.2 Neben den zeitgenössischen Arbeiten, denen überwiegend
dokumentarischer Charakter zukommt,3 findet sich bislang aber nur eine Gesamtdar¬
stellung der Verhandlungen.4
1 Das Vertragswerk wurde in einer deutsch-französischen Synopse publiziert als: Regierung des Saar¬
landes (Hg.), Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur
Regelung der Saarfrage. Text des am 27. Oktober 1956 in Luxemburg Unterzeichneten Vertrags mit
Anlagen und Briefen in den beiden Sprachen, Saarbrücken 1956, im folgenden zitiert als Saarvertrag. Die
zeitgenössische Bezeichnung „Luxemburger Verhandlungen“ bezieht sich auf den Ort der Vertrags¬
unterzeichnung und hat sich auch in der Forschung eingebürgert.
~ Zuletzt bei Ulrich Lappenküper, Die deutsch-französischen Beziehungen 1949-1963. Von der „Erbfeind¬
schaft“ zur „Entente élémentaire“, München 2001, S. 1098-1138, der seine Darstellung auf die deutschen
und französischen diplomatischen Quellen stützt. Eine Darstellung der wichtigsten Leitlinien findet sich
auch in der Einleitung von Andreas Wilkens zu dem Band: Horst Möller u. Klaus Hildebrand (Hgg.), Die
Bundesrepublik Deutschland und Frankreich: Dokumente 1949-1963, München 1997, Bd. 2 S. 1-53. Einen
völlig anderen Zugang wählt: Gudrun Schwarzer, Friedliche Konfliktregelung Saarland - Österreich -
Berlin. Eine vergleichende Untersuchung territorialer Machtkonflikte, Tübingen 1995. ln der Perspektive
eines Vergleichs zur „großen“ Wiedervereinigung: Hans-Walter Herrmann, Modellfall Saar. Der Beitritt
des Saarlandes und der DDR zur Bundesrepublik Deutschland. Ein Vergleich, in: Saarheimat 35 (1991),
S. 43-48.
1 Zu nennen sind: Robert H. Schmidt, Saarpolitik 1945-1957, 3 Bde. Berlin 1959ff., hier v.a. Bd. 3
S. 512ff. Walter Randalt Craddock, The Saar-Problem in Franco-German relations, 1945-1957, Ann Arbor
1961, v.a. S. 462ff. Jacques Freymond, Die Saar 1945-1955, München 1961. Die Saar. Grenzland und
Brücke, München 1956 {= Internationales Jahrbuch der Politik H. 2/3 (1956)) mit ausführlicher Dokumen¬
tation zum Vertragswerk. Forschungsstelle für Völkerrecht und Ausländisches Öffentliches Recht der
Universität Hamburg (Hg.), Die Rückgliederung. Darstellung mit Dokumenten, Hamburg 1957.
4 Jean-Paul Cahn, Le second retour. Le rattachement de la Sarre à l'Allemagne 1955-1957, Frankfurt a.M.
u.a. 1985. Weitere Informationen sind den autobiographischen Zeugnissen zu entnehmen; zu nennen sind
hier v.a. die Arbeiten des saarländischen Verhandlungsleiters Adolf Blind und die Sammlung der Korres¬
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