Full text: Das Saarland im doppelten Strukturwandel 1956 - 1970

Einen geeigneten Ansatzpunkt zur Klärung dieser Fragen bieten gewisse Beson¬ 
derheiten in der Ökonomie des Landes. Die 60er Jahre kennzeichnete eine in ihrem 
Ausmaß und ihrer Qualität bis heute umstrittene, negative Entwicklung der Saarwirt¬ 
schaft.1'' Schon die ersten Jahre des Jahrzehnts erscheinen geradezu als Stagnations¬ 
krise im Vergleich zur in steiler Aufwärtsentwicklung befindlichen Bundesrepublik 
im Wirtschaftswunder.19 Bis in die zweite Hälfte des Jahrzehnts spitzte sich dieser 
negative Trend dann zu einer Wirtschaftskrise zu, deren scheinbare Unbeherrschbar¬ 
keit einen im Saar-Memorandum öffentlichkeitswirksam formulierten Hilferuf der 
Landesregierung auslöste.:n Als ein wichtiger Grund für diese Entwicklung können 
die praktisch zeitgleich mit der Eingliederung einsetzenden Veränderungen in der 
westeuropäischen und nordamerikanischen Energiewirtschaft angeführt werden. Seit 
Kriegsende wurde die Kohle als bedeutendster Energieträger im Wiederaufbau gerade 
in Deutschland intensiv gefördert.18 21 Davon hatte vor allem das Ruhrgebiet profitiert, 
in dem mehr als 90% der bundesdeutschen Kohleförderung konzentriert waren; aber 
auch im Saarland war die Förderung der Kohleproduktion ein vorrangiges Ziel der 
Politik nach 1945. 
Zeitgleich mit der Eingliederung veränderten sich aber die politischen und ökono¬ 
mischen Rahmenbedingungen.22 Gravierende Auswirkungen hatten ab 1958 die durch 
außenhandelspolitische Entscheidungen der Bundesregierung stark gestiegenen 
Importe US-amerikanischer Kohle; gleichzeitig wurden deren Preisvorteile auf dem 
europäischen Markt durch die nach der Suez-Krise eintretende Baisse der interna¬ 
tionalen Frachttarife immer deutlicher und das Mineralöl als wichtigster Konkurrent 
wurde unter anderem auch durch Zollbegünstigungen zusätzlich gestärkt. Die bundes¬ 
deutsche Kohleindustrie trat damit nach Jahren des Wachstums in eine neue, von 
vielfältigen Anpassungsproblemen geprägte Entwicklungsphase ein. Absatzfördemde 
18 Jörg Roesler, Die wirtschaftliche Rückgliederung der Saar. Erwartungen, Enttäuschungen, Entwick¬ 
lungen, in: Hudemann, Jellonnek u. Rauls (Hgg.), Grenz-Fall, S. 445-464. Josef Esser, Wolfgang Fach u. 
Werner Väth, Krisenregulierung. Zur politischen Durchsetzung ökonomischer Zwänge, Frankfurt a.M. 
1983. 
19 Hartmut Kaelble, Boom und gesellschaftlicher Wandel 1948-1973: Frankreich und die Bundesrepublik 
Deutschland im Vergleich, in: ders.(Hg.), Der Boom 1948-1973. Gesellschaftliche und wirtschaftliche 
Folgen in der Bundesrepublik und in Europa, Opladen 1992, S. 219-247. 
20 Regierung des Saarlandes (Hg.), Das Saarland 10 Jahre nach seiner Eingliederung in die Bundesrepublik 
Deutschland. Bilanz und Aufgaben. Memorandum der Regierung des Saarlandes vom 10. April 1967, 
Saarbrücken 1967. 
21 Heiner R. Adamsen, Investitionshilfe für die Ruhr. Wiederaufbau, Verbände und Soziale Marktwirt¬ 
schaft 1948-1952, Wuppertal 1981 (= Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichte und zur 
Geschichte Nordrhein-Westfalens 4). 
22 Albrecht Mulfinger, Auf dem Weg zur gemeinsamen Mineralölpolitik. Die Interventionen der öffentli¬ 
chen Hand auf dem Gebiet der Mineralölindustrie in Hinblick auf den gemeinschaftlichen Mineralölmarkt, 
Berlin 1972 (= Volkswirtschaftliche Schriften 188); Manfred Horn, Die Energiepolitik der Bundes¬ 
regierung von 1958 bis 1972. Zur Bedeutung der Penetration ausländischer Ölkonzeme in die Energiewirt¬ 
schaft der BRD für die Abhängigkeit interner Strukturen und Entwicklungen, Berlin 1976 (= Volkswirt¬ 
schaftliche Schriften 256); Jürgen Meinert, Strukturwandlungen in der westdeutschen Energiewirtschaft. 
Die Energiepolitik der Bundesregierung von 1950 bis 1977 unter Berücksichtigung internationaler 
Dependenzen, Frankfurt a.M. 1980. 
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