auf das kooperative Konzept der „strategischen Grundlinie“ der „Gemeinsamkeit“ als
überzeugendere Alternative zur Regierung darzustellen versuchte.64
3.2 Wahlen und Regierungsbildungen
3.2. / Der mühsame Weg der SPD zur zweiten Kraft
Welchen Niederschlag fand die Aufarbeitung der jüngsten saarländischen Geschichte
im Wählerverhalten? Nachdem der „Spuk“ des Abstimmungskampfes unmittelbar
nach dem 23. Oktober 1955 sein plötzliches Ende gefunden hatte, war die innen¬
politische Situation im Saarland so offen wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr. Der
Rücktritt von Johannes Hoffmann hatte - obwohl die Ablösung seiner Regierung
eines der wichtigsten gemeinsamen Ziele der Heimatbundparteien gewesen war ~65
viele Fragen aufgeworfen. Die Restrukturierung der politischen Landschaft zwischen
Volksabstimmung und Regierungsbildung durch den Heimatbund erinnern dabei
stark an die unmittelbare Nachkriegszeit.66 Mit der Übergangsregierung unter Hein¬
rich Welsch67 wurde ein Kabinett aus politisch „unbelasteten“ und für die interna¬
tionalen Partner akzeptablen Personen quasi eingesetzt, das sich aufgrund des persön¬
lichen Profils der Minister auch auf einen gewissen Vertrauensvorschuß bei den
Saarländern berufen konnte. Nach außen hin sah das Kabinett seine Aufgabe vor
allem in der Bewahrung von Ruhe und Ordnung und einem geregelten Übergang bis
zur Neuwahl des Landtags.68 Ein sehr wichtiger Unterschied zur Nachkriegszeit
bestand jedoch darin, daß die Zulassung von Parteien nicht an eine weitergehende
Überprüfung der von ihnen vertretenen politischen Positionen geknüpft war.69 Nicht
einmal die Zustimmung zum als Votum für Deutschland interpretierten Abstim¬
mungsergebnis vom 23. Oktober 1955 stellte eine Zutrittsschwelle zum politischen
64 Bouvier, SPD, S. 76ff.
65 Eingängig und bis heute lebendig war der Wahlslogan „Der Dicke muß weg“; zur symbolischen
Bedeutung siehe Albert H.V. Kraus, Die Saarfrage (1945-1957) im Spiegel der Publizistik. Die Diskussion
um das Saarstatut vom 23.10.54 und sein Scheitern in der deutschen, saarländischen und französischen
Presse, Saarbrücken 1988; Paul, Bastion, S. 46, Heinen, Marianne und Michel, S. 51.
66 Zur Errichtung des Regierungspräsidiums: Heinen, Saarjahre, S. 64; Michael Sander, Die Entstehung der
Verfassung des Saarlandes, in: Landtag des Saarlandes (Hg.), 40 Jahre Landtag des Saarlandes 1947-1987,
Dillingen 1987, S. 9-40, hier: S. 11-15.
h7 Biographische Daten zu Welsch siehe: Hans-Christian Herrmann, Sozialer Besitzstand, S. 525f. Kritisch
zu Wclschs Funktionen im NS-Staat: Klaus-Michael Mallmann u. Gerhard Paul, Herrschaft und Alltag.
Ein Industrierevier im Dritten Reich, Bonn 1991 (= Hans-Walter Herrmann (Hg.), Widerstand und
Verweigerung im Saarland 1935-1945 Bd. 2), S. 3001T.
68 Sehr deutlich wurde dieses Selbstverständnis im Rahmen des Notenwechsels mit de Carbonnei im
November 1955, LASB AA 454, Note der saarländischen Regierung an de Carbonnei v. 8.1 1.55.
69 Die Erstzulassung von Parteien im Saarland nach dem Krieg und deren Beeinflussung in programmati¬
scher Hinsicht war - zunächst nach Besatzungsrecht, dann nach eigener gesetzlicher Regelung des
Saarlandes organisiert - einer der zentralen Kritikpunkte im Zusammenhang mit der Gewährung von
politischen Freiheiten an der Saar, Winfried Becker, Die Entwicklung der Parteien im Saarland 1945 bis
1955 nach französischen Quellen, in: Hudemann u. Poidevin (Hgg.), Saar, S. 253-296, sowie die ein¬
schlägigen Artikel in: Richard Stöss (Hg,), Parteien-Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutsch¬
land 1945-1980, Opladen 1984.
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