Von der nassau-usingischen Fürstin selbst sind nur wenige Zeugnisse überliefert, so
daß eindeutige Aussagen über das Selbstverständnis der vormundschaftlichen Herr¬
schaft nicht möglich sind152 153. Ihre Erziehungsinstruktionen für die beiden Söhne Karl
und Wilhelm Heinrich atmeten jedenfalls - so Helmut Bleymehl - bereits "den Geist
der Aufklärung", wie z.B. die Instruktion von 1730, den beiden jungen Prinzen
Unterricht in den "moralischen Wissenschaften" zu erteilen, damit sie wissen mögen,
in was für Pflichten sie sowohl gegen sich selbst als auch gegen andere Menschen,
besonders aber ihren hinkünftig zu regierenden Unterthanen gegenüber haben und
also in ihrem Thun und Wesen mehr die Überzeugung Ihrer Vernunft als den
unordentlichen Trieb eines verderbten Affekts sich zur Richtschnur setzten'5i. Die
Pflichtbindung des Herrschers gegenüber seinen Untertanen war ein typisches
Kennzeichen aufgeklärten Denkens154. Eine gewisse Gleichmacherein ohne Rück¬
sicht auf die ständischen Unterschiede lassen wiederum einige Verordnungen der
Vormünderin erkennen, wie z.B. die Gesindeordnung von 1730, wo es gleich zu
Beginn heißt, daß niemand, weß Standes er seye, dem andern seinen Knecht aus-
spannen solle155 156. Auch die von der Fürstin in Auftrag gegebenen Reformvorschläge
des Jugenheimer Amtmanns Schmoll für das nassau-saarbrückische Gebiet blieben
nicht unbeeinflußt von den nivellierenden Tendenzen der Aufklärungszeit. So sah
Schmoll etwa nicht ein, weshalb Adelige, fürstliche Räte und andere herrschaftliche
Bedienstete von der Steuer bürgerlicher Güter befreit sein sollten. Der Amtmann
fand es eines von denen unbilligsten Dingen (...), lastbahre Gütter an sich (zu)
bringen und deren Versteuerung andern nulle jure auf (zu) bürden, weil solchergestalt
kein Bürger oder Unterthan bestehen könne; für ihn war es hoehstrafbahr, wann
einem in aestimo zu viel geschiehet, wie viel mehr, wann einer gar nichts entrichtet
und dadurch andere gravirt werden. Schmoll schlug daher vor, ohne Anstandt zu
verordnen (...), daß jeder, so bürgerliche Güter besitzet, er seye, wer er wolle,
dieselbe gleich einem andern Bürger oder Unterthan dem Anschlag nach versteuern
solle bey Straf oder Confiscation, es erfordert auch solches die Gerecht- oder Billig¬
keit, dann so der geringe das seine beyträgt, warum solle es ein Hoher und Herr¬
schaftlicher Diener nicht thun'56. Der Bericht des Jugenheimer Amtmanns stellt d i e
152 Zur Quellenarmut der Selbstzeugnisse der Fürstin Charlotte Amalie vgl. Geck, 23; allgem. zur
bevorzugten Quellenkategorie der "Selbstaussagen der Herrscher" für die angemessene Ermittlung des
herrschaftlichen Selbstverständnisses gerade im Zeitalter des Aufgeklärten Absolutismus, "da die rein
zweckrationale Rechtfertigung des Herrscheramts (...) als unterscheidendes Element gewertet werden
muß", vgl. Sellin, Friedrich der Große, S.89ff. (zit.S.89 u.103),
153 Bleymehl, Aufklärung, S.8-10; allgem. zur "Erziehung der Prinzen als Instrument der Aufklärung" s.
Schlobach, Aufklärung, S.335.
,i4 Dies betonte vor allem Koser (i.J. 1889) sehr stark und kam von daher zu der m.E. nicht uninter¬
essanten These von der "Rückbildung" des Absolutismus im Zeitalter der Aufklärung, vgl. Koser,
Epochen, S.l-44, bes.S.3.
155 Gesindeordnung der Fürstin Charlotte Amalie, Usingen 9.12 1730: StadtA SB Gemeins. Stadtger
397, fo!.151f.
156 Schmoll-Bericht, Jugenheim 4.Mai 1731: LA SB 22/2461, fol.26v.
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