neue, der Zeit gemäße Basis gestellt wurden. Die frühe Französische Revolution
hatte dann durch ihren zusätzlichen Solidarisierungseffekt noch bewirkt, daß nun
auch die Landgemeinden ein gleiches, quasi-ständisches Mitspracherecht wie die
Städte erhielten, wenn sie auch bei der ersten direkten Aushandlung über die Land¬
gelderhöhe nicht anwesend waren. Der Nachtragsvergleich vom Februar 1793 war
unterschrieben von einigen Gerichtsmitgliedem und Bürgern der beiden Städte
Saarbrücken und St. Johann und von den Deputierten der Köllertaler Meierei und des
Völklinger Hofs, und er war in gemeisamem Einvernehmen mit der Saarbrücker
Regierung ausgehandelt und vom Fürsten besiegelt worden, und vor allem: er galt
landesweit für alle Gemeinden der Grafschaft Saarbrücken66. Mehr konnten sich die
Stadt- und Landdeputierten nicht erhofft haben. 'Land und Herrschaft' rückten unter
dem Eindruck der frühen Französischen Revolution zusammen und traten in gemein¬
same Verhandlungen ein, die die Verfassungsstruktur des Landes betrafen67. Der
Weg in die 'Moderne' - wir müssen es noch einmal sagen - war gewiesen. Vielleicht
zählt es wirklich, wie Fehrenbach meint, "zu den Femwirkungen des Landkassen¬
streits, daß 1814 das Fürstentum (d.i. das Herzogtum, K.R.) Nassau die erste der
vormärzlichen Verfassungen im konstitutionellen Deutschland einfuhrte"68. In jedem
Fall war gegen Ende des Anden Régime in Nassau-Saarbrücken eine Situation
entstanden, die einem landständischen Verfassungsmodell sehr nahe kam - ange¬
sichts der Tatsache, daß es in Nassau-Saarbrücken nie Landstände gegeben hat, war
dies nicht eben wenig. Ja, mehr war eigentlich gar nicht zu erwarten von der gerade
erst ausgebrochenen Großen Revolution im Nachbarland. Es ist falsch, überall nach
revolutionären bzw. pseudo-demokratischen Spuren zu suchen, wie dies die so¬
genannte deutsche 'Jakobinerforschung' getan hat69. Die 'Ideen von 1789' wurden zu
dieser Zeit nirgendwo in Deutschland rezipiert. In Nassau-Saarbrücken wurden sie
instrumentalisiert, um den altständischen Partizipationsforderungen noch stärkeren
Nachdruck zu verleihen als vor 1789. Die 'expansion révolutionnaire' brachte keinen
'qualitativen Sprung', sondern lediglich eine 'quantitative Veränderung', d.h. eine
bloße Verschärfung der vorrevolutionären Konfliktsituation70. Das war die eigentli¬
che Bedeutung der frühen Französischen Revolution in Nassau-Saarbrücken.
66 Vgl. dazu nochmals die Originalurkunde des Landkassen-Nachtragsvergleichs, Saarbrücken
22.Februar 1793: LA SB 22/4719, fol. 120-125.
67 Allgem. dazu Brunner, Land.
58 Fehrenbach, Unruhen, S.43 Anm.75; allgem. dazu Vierhaus, Repräsentativverfassung, S.177-194.
69 Vgl. dazu den Forschungsüberblick bei Fehrenbach, Ancien Régime, S.159ff.
70 Zur Unterscheidung zwischen quantitativen und qualitativen Veränderungen im Einflußbereich der
Französischen Revolution vgl. Berding, Vorbemerkung.
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