eigenste Schöpfung des aufgeklärten Bürgertums gilt, war damit - wir müssen es
noch einmal sagen - unter dem Eindruck der frühen Französischen Revolution zum
ersten Mal auch von den Bauern und Bürgern der Grafschaft Saarbrücken vor¬
gebracht worden40. Die frühe Französische Revolution hatte also nicht nur einen
Solidansierungs-, sie hatte auch noch einen zusätzlichen Politisierungseffekt!
Für die Saarbrücker Regiemngsräte war die ganze Bittschrift pur Declamation, auch
war ihnen klar, daß die beiden Städte an allem hauptsächlich Schuld seien, überhaupt
seien die Städte, wer weiß, ob es durch Aufklärung oder woher kommt, die schimm-
ste(n), und die hiesigen wollen sogar alles abtro(t)zen4]. Angesichts der Tatsache,
daß außer den beiden Saarstädten nur einige Gemeinden des Köllertals und die
Gemeinden des Völklinger Hofs beteiligt waren, überlegte man, ob man nicht Stadt
und Land trennen und das 'divide-et-impera' statt haben könnte, zumal die Köllertaler
ohnehin noch mit ihrer Rechtssache, zu der u.a. auch die Landgelder zählten, alleine
beim Reichskammergericht anhängig waren, von dem sie noch keinen endgültigen
Entscheid erhalten hatten. Was die politischen Implikationen der Landkassenforde¬
rung anging, so war sich die Regierung darüber im klaren, daß es sich um eine
Anrichtung von Landständen42 handelte und daß die Untertanen offenbar den Lan-
desherm dazu bringen wollten, sich vor ihnen zu verantworten. Der Saarbrücker
Regierungsrat Reusch schloß daran die rhetorische Frage an: Wenn es auf die mehr-
sten Stimmen ankäme (...), wo bliebe da die Landeshoheit und wie verwirrt würde es
alsdann im Staate aussehen4i 43. Auch der Saarbrücker Regierungsrat Lex fand, daß
weder die Landuntertanen, die leibeigen seien, noch die Bürger, die zwar per Privile¬
gien einige Freiheiten erhalten hätten, jemals den geringsten Antheil an öffentlichen
Geschäften gehabt hätten44. Und der Regierungsrat Dem schließlich war der Ansicht,
daß Regiersucht und Mißtrauen vor die Zukunft der Hauptgrund der Klage zu sein
schienen45. Wenn man auch versucht ist, anhand von solchen Äußerungen die steuer¬
lichen Partizipationsansprüche der Stadt- und Landuntertanen als quasi-demokrati¬
sche Teilhabeforderungen zu interpretieren, so muß man sich doch immer wieder des
altständischen Charakters dieser Klage bewußt werden, an dem auch der Ausbruch
der Revolution im Nachbarland nichts, aber auch gar nichts geändert hatte. Als die
Saarbrücker Regierung in der Landgelderangelegenheit eine Anfrage an die agnati-
schen Regierungen in Dillenburg, Wiesbaden und Weilburg richtete, da brachte sie
40 Vgl. allgem. dazu jetzt Würgler, Unruhen.
41 Vgl. das Votum des Saarbrücker Regierungsrats Reusch im Landkassenstreit, Saarbrücken
30.November 1791: LA SB 22/4719, fol.6-10 (zit. fol.6).
42 Ebd.,fol.9v.
43 Ebd.,fol.8r.
44 Vgl. das Votum des Saarbrücker Regierungsrats Lex v. 4.Dezember 1791: LA SB 22/4719, fol.10-12
(zit., fol.l 1).
45 Vgl. das Votum des Saarbrücker Regierungsrats Dem v. 9,Dezember 1791: LA SB 22/4719, fol.l7-21
(zit., fol.20v.).
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