Fürst Wilhelm Heinrich nahm noch einmal Stellung zur neuerlichen Beschwerde der
Stadtgerichte: Erstaunlich moderat fand er, daß die Punkte zuerst durch Kammer und
Regierung begutachtet werden müßten, um zu wißen, was der Herrschaft von Rechts
wegen zukomt und allezeit üblig gewesen ist202. Das war die letzte Äußerung des
Fürsten in dieser Angelegenheit; denn schon kurz darauf, am 24 Juli 1768 starb
Wilhelm Heinrich infolge eines Schlaganfalls im Alter von 50 Jahren203. Die Tatsa¬
che, daß die städtischen Privilegien nicht mehr wie sonst üblich zu Beginn der
jeweiligen Regierungszeit in einem kursorischen Konfirmationsdekret, sondern an
deren Ende und dann auch nur auf ganz erheblichen Druck 'von unten' in einer
'Punktation' beschieden wurden, beleuchtet eindrucksvoll den Veränderungsprozeß,
dem die ganze städtische Privilegieangelegenheit unterworfen war: Der
reformabsolutistische Polizeistaat war zum schärfsten Gegner der alten Rechte und
Freiheiten geworden. Er versuchte sie zu verdrängen, um gleichzeitig Raum für einen
neuen, auf Zweckrationalität basierenden und Universalgültigkeit beanspruchenden
Rechtsbegriff zu schaffen204. Die letzte Äußerung Fürst Wilhelm Heinrichs - zu
wissen, was der Herrschaft von 'Rechts' wegen zukommt und allezeit 'üblich' gewe¬
sen ist - beschrieb noch einmal den schmalen Grat zwischen altem und neuen Recht,
auf dem die Herrschaft immer noch wandelte. Aber die Richtung lag fest: Das
staatliche Rechtsetzungs- und Rechtfeststellungsmonopol kündigte sich unaufhaltsam
an205. Zum Durchbmch gelang es schließlich erst in der Regierungszeit Fürst Lud¬
wigs, und dementsprechend veränderte sich auch der städtische Privilegienstreit.
Bevor wir ihn weiterverfolgen, wollen wir kurz rekapitulieren: Der Kampf der Städte
um ihre Privilegien begann sich erst in Reaktion auf die Politik der 'guten Polizei' zu
formieren und auszudifferenziem. Der Zugriff des Fürsten auf die städtischen
Autonomierechte führte zu einer Gegenbewegung, die über das ursprünglich defensi¬
ve Ziel einer bloßen Bestätigung der alten Privilegien weit hinausreichte und eine
offensive Auseinandersetzung um Erweiterung des städtischen Privilegienkatalogs
mit einschloß. In diesem Sinne bestätigt der Privilegienstreit - ebenso wie zuvor in
vormundschaftlicher Zeit der Kampf der beiden Städte um kommunale Forstautono¬
mie - die Grundthese unserer Arbeit: Der Kampf um kommunale Autonomie, kurz:
der 'Kommunalismus' ist keine eigenständige Bewegung, sondern steht in Bezug zur
herrschaftlichen Zugriffspolitik, kurz: dem 'Territorialismus'. Erst durch den Territo¬
rialismus wird der Kommunalismus geweckt und - wie wir hier ebenso wie beim
Forstkonflikt sehen konnten - auch in offensive Bahnen gelenkt. Noch eins fällt auf
beim Vergleich der beiden städtischen Konfliktfälle: Vom äußeren Ablauf her - wenn
202 Vgl. den undatierten Vermerk Fürst Wilhelm Heinrichs zur mündlichen Vorstellung, die die Stadtge¬
richte am 8.Juni 1768 beschlossen hatten: LA SB 22/2851, fol.l39r.
203 Vgl. Gottlieb, Tagebuch, Eintrag v.1768.
204 Vgl. allgem. dazu mit der weiterführenden Literatur Holenstein, Huldigung, S.380ff.
205 Vgl. grundsätzlich dazu Luhmann, Rechtssoziologie, bes. S.190ff.
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