Full text: Obrigkeit und Untertanen

len wenn solche zum Präjudiz und Last des Publici gereichen oder dieselben 
mißbrauchet worden sind, weilen die allgemeine Wohlfahrt allen etablirten Gesetzen, 
mithin weit mehr denen allegirten Freyheiten vorzuziehen ist155. Das war nicht bloß 
eine quantitative Steigerung des staatlichen Aufsichtsrechts, wie es seit dem Mittel- 
alter bestanden hat, sondern auch eine qualitativ neuartige Politik, die allein schon 
von ihrem Selbstverständnis her jeglichen Sonderprivilegien feindlich gegenüber 
stand156. 
Auch die Tatsache, daß die Privilegien aus dem Freiheitsbrief von 1322 nun im 
einzelnen begutachtet und auf ihre Gültigkeit hin überprüft wurden, weist in diese 
Richtung157; denn die Einzel-Begutachtung widersprach eigentlich dem Grundcha¬ 
rakter der städtischen Privilegien, die - wenn überhaupt - dann nur als Ganzes, d.h. 
'generaliter' bestätigt werden konnten. Der Saarbrücker Regierungsrat Lautz, der die 
ganze Angelegenheit noch am objektivsten beurteilte, wußte um diesen Sachverhalt, 
wenn er feststellte, daß derartige Vorbehaltej nicht Platz finden (könnten), dann 
wann etwas bestätigt wird, nur solange es ratio status wohl leiden kan, so ist es kein 
Privilegium mehr, wie es war, sondern in ein bloßes Precarium (=Gnade, K.R.) 
verwandeltl58. Der reformabsolutistische Polizeistaat hätte aus den alten Rechten der 
Städte am liebsten eine 'Gnadengabe' der Herrschaft gemacht und sie damit letzten 
Endes herrscherlicher Willkür unterworfen. Aber auch die absolutistische Herrschaft 
war keine 'despotische' Herrschaft, sondern an das alte Recht gebunden. Eine Beseiti¬ 
gung der städtischen Privilegien war nicht möglich, sondern bestenfalls eine 'Aus¬ 
höhlung'159. Die Mitglieder der Saarbrücker Regierung und Rentkammer waren daher 
einhellig der Meinung, daß die städtischen Privilegien von 1322 ruhig 'generaliter' 
bestätigt werden könnten, weil im Freiheitsbrief so viele herrschaftliche Vorbehalte 
enthalten seien, die im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten seien und nun wieder 
eingeführt werden könnten160. Der Saarbrücker Regierungsrat Lex bekannte un¬ 
umwunden, daß die 'Freiheiten' von 1322 mit der Clausel - insofeme sie seit der Zeit 
auf eine zu Recht beständige Art nicht abgeändert - und dermahlen noch applicables 
sind, ohne Bedencken und um so mehr confirmiert werden können, als manche 
155 Votum des Saarbrücker Regierungsrats Lüder v. 25.Mai 1762: LA SB 22/2851, fol.47r. 
Ii<s Vgl. dagegen Ennen, die bloß eine kontinuierliche Ausdehnung des staatlichen Aufsichtsrechts seit 
der Zeit der Städtegründungen im Hochmittelalter mit einem Höhepunkt im 18.Jahrhundert konstatiert 
(Organisation, vor allem die Zusammenfassung, S. 189-224). Die neuzeitliche Rechtsentwicklung 
beruht dagegen auf einem quantitativen und qualitativen Sprung, vgl. etwa Grimm, Recht, S.22f. 
Ii7 Vgl. vor allem das Gutachten v. Krebs v.1762 u. das von 1732, wo erstmals damit begonnen wurde: 
LA SB 22/2850 u.2851. 
158 Votum des Saarbrücker Regierungsrats Lautz v. 9.November 1762: LA SB 22/2851, fol.66r. 
159 Vgl. Willoweit, Strukturen, der deutlich macht, daß eine Aufhebung der alten Rechte unmöglich war, 
weil der Landesherr selbst daran gebunden war: "Im Wege polizeilicher Maßnahmen, und nur so, 
nämlich durch gemeinwohlorientierte Politik, kann der Landesherr die alten Rechte zwar unterlaufen 
und aushöhlen. Aufheben kann er sie nicht" (S.19f ). 
160 Vgl. die Gutachten in: LA SB 22/2851, fol.35ff; bes. das Endgutachten v. 9.11.62 ebd., fol.77-85. 
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