Während für die Nachbarterritorien, nämlich für die Reichsherrschaft Hüttersdorf-
Bubnch und die Reichsherrschaft Saarwellingen seit neuestem immerhin in ersten
Ansätzen Untertanenproteste im 18.Jahrhundert untersucht werden96, stellt das größte
Territorium an der Saar, das Fürstentum Nassau-Saarbrücken, ein weißer Flecken
dar. Die älteren Überblicksdarstellungen von Köllner und Ruppersberg enthalten, wie
bereits erwähnt, aufgrund ihrer herrschaftsfreundlichen Haltung nur ganz wenige
Hinweise auf Unruhen aus der Bevölkerung. Lediglich für die Zeit der nassau-
usmgischen Vormundschaft werden einige "bittere Klagen von Seiten sämmtlicher
Einwohner" über das Oberforstamt und dessen 1729 erlassene Forstordnung erwähnt,
die angeblich sogleich wieder beigelegt wurden, weil es Fürstin Charlotte Amalie nie
an "gutem Willen, Gerechtigkeit und Eifer zur (...) Abschaffung der ihre Unterthanen
belastenden Übel" gefehlt habe97. Für die zweite Jahrhunderthälfte folgen Köllner
und Ruppersberg im großen und ganzen der parteiischen Darstellung des Saarbrücker
Regierungsrats Friedrich Rollé, der lediglich an zwei Stellen, nämlich 1766 und
1776/77 Beschwerden aus der Bevölkerung erwähnt, die allerdings auch auf Anre¬
gung der Fürsten zustande gekommen seien, die sich um das Wohl ihrer Untertanen
gekümmert, diese daher zur Beschwerdeübergabe aufgefordert und den Klagen
sodann auch entsprochen hätten98. Rollé gelangt aus dieser Sicht, die in der absoluti¬
stischen Reformpolitik der beiden letzten Saarbrücker Fürsten eine mehr oder weni¬
ger verständnisvolle Konsenspolitik erblickt, unmittelbar vor Ausbruch der Französi¬
schen Revolution zu folgendem Urteil: Bei so vielen dem Land erwiesenen und
unzehligen Particular-Gnadenbezeigungen lebten die Unterthanen viele Jahre
hindurch glücklich, d.i. in stiller Ruhe und treuer Unterthänigkeit für ihren gnädig¬
sten Landesherrn99. Dieses Bild vom treu-gehorsamen nassau-saarbrückischen
Untertan, der sich willig in sein Schicksal fügte und der Landesherrschaft Gehorsam
leistete, hat sich in der Landesgeschichtsschreibung implizit oder explizit bis in die
96 Vg], für die Saarweilinger Proteste Keil, "Excesse”, S.439-453; und für die Proteste der Einwohner
von Hüttersdorf/ Buprich die beiden Beiträge von Schmitt, "Rebellion", S.5-61 und ders., Prozeß, S.5-
26.
97 Vgl. Köllner, Land, S.437ff. (zit.S.437 u. S.442); danach Ruppersberg, Grafschaft II, S.218ff.
98 Vgl. Rollé, Sammlung, S.27 u. S.54-58; danach Köllner, Land, S.461 u. S.467 und Ruppersberg,
Grafschaft II, S.279 u. S.300f. Beide Beschwerdewellen sind archivalisch überliefert, allerdings nur
aus obrigkeitlicher Sicht, d.h. in Form von fürstlichen Dekreten, Regierungsresolutionen und amtli¬
chen Gutachten (vgl. den Aktenband: LA SB 22/2313, 357 S.); Fehrenbach (Unruhen, S.35ff.) hat
lediglich diesen Aktenband zur Nennung der Beschwerdegegenstände der Protestwelle von 1776/77
herangezogen. Diese einseitig-obrigkeitlich geprägte Überlieferungsart ist für unsere Fragestellung
allerdings wenig ergiebig. Um qualitative Aussagen über die Untertanenproteste in ihrer Wechsel¬
wirkung mit der herrschaftlichen Reformpolitik treffen zu können, war es notwendig, Akten kommu¬
naler Provenienz heranzuziehen (vgl. dazu weiter unten den Quellenbericht).
99 Rollé, Sammlung, S.58; Unruhen und Proteste kamen für Rollé in Nassau-Saarbrücken erst im
Gefolge der Französischen Revolution zustande und waren aus seiner Sicht in erster Linie ein
'Revolutionsexport'.
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