3. Prinzipielle Widerstände gegen den Reformabsolutismus: Der Austrägal- und
Reichskammergerichtsprozeß der Köllertaler Gemeinden gegen Fürst Ludwig
a) Zur Ausgangslage: Das Köllertal als konfliktträchtige 'Landschaft'
Die Saarbrücker Rentkammer äußerte sich in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts
zur Köllertaler Meierei wie folgt: Bekanntlich seye das sogenannte Cöllerthal eine
ziemlich große, von etl(ichen) 30 Bännen und soviel Ortschaften bestehende Land¬
schaftDie Behörde hatte mit dem Begriff der 'Landschaft' nicht nur eine geographi¬
sche Größe verbunden, sondern auch eine Aussage im 'verfassungsrechtlichen' Sinne
getroffen. Der Landschaftsbegriff ist in der historischen Forschung seit den Arbeiten
von Peter Blickle in seiner Bedeutung klar definiert: "Landschaft ist die genossen¬
schaftlich organisierte, korporativ auftretende Untertanenschaft einer Herrschaft.
Was Landschaft personal deckt, ist eine Frage der jeweiligen Sozial-, Rechts- und
Machtverhältnisse in einer Herrschaft - einer Herrschaft freilich, die nicht bloße
Grundherrschaft, Leibherrschaft, Vogteiherrschaft oder Hochgerichtsherrschaft sein
darf, sondern für sich in Anspruch nehmen darf, Träger der Landeshoheit zu sein"2.
Nach der Blickleschen Definition ist die Landschaft stets die korporativ auftretende
'Gesamtuntertanenschaff einer Herrschaft. Wir wollen dennoch den Landschafts¬
begriff auch auf die Meierei Köllertal, also nur einen Teil der Gesamtuntertanen¬
schaft Nassau-Saarbrückens anwenden, weil es sich um die größte Meierei des
Fürstentums handelt und vor allem weil die Köllertaler Meierei stets als eine
Gemeinschaft, d.h. relativ geschlossen gegenüber der Herrschaft agiert, womit das
zweite wichtige Kriterium des Landschaftsbegriffs erfüllt ist, daß er nämlich "kom¬
plementär zu Herrschaft" ist: "Landschaft und Herrschaft sind korrelativ aufeinander
bezogen"3. Die Tendenz zur Herausbildung einer Landschaft zeigt sich demnach am
deutlichsten in Konfliktsituationen, wenn die Untertanen sich gegenüber der Herr¬
schaft als Landschaft zu konstituieren beginnen. So ist auch der Titel dieses Kapitels
zu verstehen. Das Köllertal ist nämlich nicht in jedem Fall als 'konfliktträchtig'
anzusehen; aber immer dann, wenn es zu Konflikten mit der Herrschaft kam - und
das war vermehrt erst seit Beginn des 18.Jahrhunderts der Fall - schlossen sich die
Köllertaler Ortschaften zu einer Landschaft zusammen. Bevor wir nun die 'Konflikt-
trächtigkeit' des Köllertals im 18.Jahrhundert behandeln, wollen wir einen Blick auf
die sozial-ökomische und politisch-rechtliche Ausgangslage werfen. Dabei fragen
' Vgl. die Kammerresolution zum Regierungsprotokoll über einige Beschwerden der Köllertaler
Untertanen, Saarbrücken 24.Januar 1778: LA SB 22/2313, S.333f. (zit. S.333).
3 Vgl. Blickle, Landschaften (zit. S.23).
3 Vgl. zur Landschaft als politischer Repräsentation der Untertanen auf territorialstaatlicher Ebene
Blickle, Untertanen, S.61-91 (zit. S.61). Diese Sicht Blickles aus dem Jahre 1981 scheint noch recht
'ausgewogen', sie steht sogar in einem gewissen Widerspruch zur 'einseitig' an der Untertanenschaft
orientierten Kommunalismus-These.
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