sehen Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und Österreich um die spanische
Erbfolgefrage hineingezogen, und in den 30er Jahren des 18.Jahrhunderts war sie
wiederum Schauplatz französischer Truppenbewegungen und Einquartierungen, die
sich aus der europäischen Auseinandersetzung um die polnische Erbfolgefrage
ergaben01. Erst danach trat eine Phase der Konsolidierung ein, die bis zum Ausbruch
der Französischen Revolution anhielt und eine der wichtigsten Voraussetzungen
dafür schuf, daß sich das nunmehrige Fürstentum Nassau-Saarbrücken von den
Kriegen und Krisen des 'langen' 17.Jahrhunderts6" erholen und eine Aufwärtsent¬
wicklung bislang ungekannten Ausmaßes durchleben konnte. Die starken Bevöl¬
kerungsverluste wurden durch Zuwanderung aus französischen und aus deutsch¬
sprachigen Ländern, durch Siedlungs- und Hofgründungen und durch eine bewußte
Peuplierungspolitik mehr als ausgeglichen63, wirtschaftlich gesehen kam es zu einem
ganz enormen Aufschwung, indem im merkantilistischen Sinne die natürlichen
Reichtümer des Landes, in Nassau-Saarbrücken vor allem die Steinkohlen, genutzt
und die drei Hauptsäulen der heimischen Industrie - die Glashütten, die Eisenhütten
und die Kohlengruben - durch Verstaatlichung, Verpachtung und Konzessiomerung
von der Landesherrschaft außerordentlich gefördert wurden64. Vor allem aber ging
die Herrschaft in diesen rund 60 Jahren des 18.Jahrhunderts zum ersten Mal konse¬
quent daran, ein absolutistisches Herrschaftssystem aufzubauen und im Zeichen der
Aufklärung eine allumfassende Reformpolitik in die Praxis umzusetzen, die durchaus
rationale, um nicht zu sagen: moderne Züge trug und die sich noch am ehesten mit
dem von Günter Birtsch in die Debatte eingeführten Begriff des 'Reformabsolu-
tismus' beschreiben läßt65. Diese reformabsolutistische Politik begann bereits unter
der vormundschaftlichen Herrschaft Fürstin Charlotte Amaliens, wurde ausgebaut
und umgesetzt durch die beiden letzten regierenden Fürsten Wilhelm Heinrich und
Ludwig und abrupt beendet durch den Ausbruch der großen Revolution im Nachbar¬
land, in deren Gefolge das Fürstentum zerschlagen und dem grundstürzenden
Modemisierungsprozeß Napoleons unterworfen wurde. Auch und vor allem aus
landesgeschichtlicher Sicht stellt die Französische Revolution eine außerordentliche
Zäsur dar, so daß es gerade aus dieser Perspektive angesichts unserer Frage nach dem
systemkonformen Reform- bzw. Modemisierungspotential des ausgehenden Ancien
Régime angebracht erschien, die Revolutionszeit nicht mehr miteinzubeziehen. Das
'rationale Zeitalter' des Reformabsolutismus vom ersten bis zum letzten Drittel des
18. Jahr hundert, ja wenn man so will: 'die Modernisierung vor der Modernisierung'
stellt den Untersuchungszeitraum unserer Arbeit dar.
Al Vgl. Herrmann, Grundlinien, S.515-518.
a: Vgl. allgem. zum langen 17.Jahrhundert Press, Kriege.
65 Zu den Hofgründungen vgl. Hoppstädter, Absolutismus, S.99-106; zur demographischen Entwick¬
lung, die noch unerforscht ist, vgl. die Angaben bei Schmitt, Tonnen, S.3f. u.Anm.14 u.15.
64 Vgl. dazu im einzelnen unten Kap.II.lb)
65 Vgl. dazu im einzelnen die Kap.1.1b) u. II.lb) u.c).
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