über ihre alten Rechte hinaus und entwarfen eine Verordnung, die sich nicht mehr
allein auf städtische, sondern auch auf landesherrliche Polizeiangelegenheiten bezog
und die sie als Alternative zu einer herrschaftlichen Verordnung präsentieren und in
ihrem eigenen Namen veröffentlichen wollten. Faktisch verließen die Städte damit
den defensiven Pfad und verliehen ihrem Widerstand einen offensiven Charakter.
Dahinter stand jedoch der altständische Gedanke eines auf Konsens, Partizipation
und Mitsprache basierenden Herrschafts Verhältnisses. Bei den Untertanen war dieses
mittelalterliche Prinzip der Mutualität - das hat auch der ländliche Forstkonflikt
gezeigt - noch sehr lebendig. Die beiden Saarstädte setzten ihre altständischen
Partizipationsansprüche durch den Entwurf einer alternativen Forstordnung auf
besonders drastische Weise in die Praxis um. Ausgelöst wurde dieser Schritt al¬
lerdings erst durch die absolutistische Reformpolitik der vormundschaftlichen Herr¬
schaft. Erst durch den herrschaftlichen Angriff auf die kommunalen Forstrechte
wurden sich die Untertanen dieser alten Rechte bewußt und begannen sie zu verteidi¬
gen; daß sie dabei am Ende übers Ziel hinausschossen und sich Rechte anmaßten, die
ihnen eigentlich gar nicht zustanden, lag wiederum daran, daß die vormundschaftli¬
che Herrschaft zum ersten Mal konsequent an den Grundzügen ihrer Politik festhielt
und nicht gleich klein beigab, wie das noch zuvor der Fall gewesen war. So paradox
es klingt: Es war letztlich die absolutistische Ordnungs- und Reforminitiative der
Usinger Herrschaft, die den defensiven Traditionalismus der Untertanen geweckt und
dann sogar in offensive Bahnen gelenkt hat. Damit bestätigt der städtische Forstkon¬
flikt unter nassau-usingischer Vormundschaft unsere generelle These, die wir in
Anlehnung an Volker Press und Georg Schmidt unserer Arbeit zugrundegelegt
haben: In allgemeine Kategorien übertragen, d.h. wenn man die absolutistischen
Reformansätze der vormundschaftlichen Herrschaft als 'Territorialisierungspolitik'
begreift und den zehnjährigen Kampf der beiden Saarstädte um kommunale Forstau¬
tonomie als 'Kommunalismusstreif versteht, dann hat der städtische Forstkonflikt
gezeigt, daß 'Territorialismus' und 'Kommunalismus’ keine alternativen
Verfassungsmodelle, sondern "die beiden Seiten der gleichen Medaille" waren3'7. In
unserem speziellen Falle kann man sogar noch einen Schritt weiter gehen: Der
'Territorialismus' hat den 'Kommunalismus' nicht nur in Gang gesetzt, er hat ihm
auch eine offensive Stoßrichtung verliehen; erst durch die absolutistische
Reformpolitik der Usinger Vormundschaft erhielt der defensive Widerstand der
Bürger von Saarbrücken und St. Johann eine politische Stoßkraft, die der Herrschaft
selbst gefährlich werden konnte. Schon die vormunschaftliche Herrschaft mußte
erhebliche Abstriche hinnehmen und konnte durch den Protest der Stadt- und Land¬
gemeinden ihre Forstpolitik nicht in dem Maße realisieren, wie sie sich das vor¬
gestellt hatte. Je weiter die Herrschaft ihre reformabsolutistische Politik vorantrieb,
desto weiter konnte sich auch der defensive Traditionalismus der Untertanen ent-
317 Vgl. dazu nochmals Press, Kommunalismus, S. 109-135 (zit. S.126); Schmidt, Agrarkonflikte, S.39-
56.
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