Die Ehe Gertruds mit Graf Theobald IV. von der Champagne
Die Nachfolge im Herzogsamt trat der jüngere Bruder Theobalds, Matthäus II., an.
Der neue Herzog versuchte, die Witwe seines Bruders in der Folgezeit in seine
politischen Pläne miteinzubezichen. Matthäus II. hat angesichts der von Mißerfolg
geprägten Auseinandersetzungen seines Vorgängers mit Bianca von Troyes und
deren Sohn Theobald einen politischen Kurswechsel vollzogen und versucht, mit
der Gräfin einen Ausgleich herbeizuführen. So kam es zu einer politischen
Annäherung zwischen dem oberlothringischen Herzogshaus und dem Grafenhaus
von der Champagne. Im Rahmen dieser Annäherung zwischen dem Herzog von
Oberlothringen und dem Grafen von der Champagne verabredete man eine
Heiratsverbindung, die diesen Ausgleich zusätzlich untermauern sollte. Gertmd von
Dagsburg, die Witwe von Herzog Theobald I. von Oberlothringen, sollte Biancas
Sohn, den Grälen Theobald IV. von der Champagne, heiraten. Die vierzehnjährige
Witwe mußte sich in die Situation fügen und den Weg in die Champagne antreten.
Daß dieser politische Kurswechsel des Herzogs „durch das Verhalten der Witwe
des Verstorbenen“ eingetreten sei, wie dies Walter Mohr sehen will1224, halte ich
für abwegig, wenn man bedenkt, daß Gertrud zu diesem Zeitpunkt erst 14 Jahre alt
war und ein eigenständiges politisches Handeln doch nicht anzunehmen ist1225.
Außerdem konnte sie wohl schwerlich gegen den Willen des neuen Herzogs, der ja
ihr ehemaliger Schwager war, eine Eheverbindung eingehen, welche gegen die
Interessen des Herzogs gerichtet gewesen wäre. Als Betreiber dieser Ehe wird man
daher eher Bianca von Troyes und ihren Sohn, Graf Theobald IV., ansehen müssen.
Michel Bur meint hingegen, Gertrud sei sozusagen zu Graf Theobald von der
Champagne geflohen, um sich einem möglichen Zugriff Friedrichs II. zu entziehen,
der sich ihrer bemächtigen wollte, weil er auf die reichen Besitzungen Gertruds
spekulierte1226. Allerdings gilt es hierbei zu bedenken, daß gerade Theobald IV.
von der Champagne und seine Mutter zusammen mit Friedrich II. im Kampf gegen
Herzog Theobald I. von Lothringen als Verbündete aufgetreten waren und es für die
Witwe des Herzogs äußerst unklug gewesen wäre, sich ausgerechnet in die Arme
der Verbündeten Friedrichs II. zu begeben, um sich vor dessen Zugriff zu schützen.
Das nunmehrige Eheprojekt wurde durch eine ganze Reihe von Urkunden und Ver¬
trägen vorbereitet imd abgesichert. So traf Herzog Matthäus von Oberlothringen mit
Bianca von Troyes und ihrem Sohn Theobald von der Champagne eine Verein¬
barung über den Abbau der großen Schuldenlast, welche der verstorbene Herzog
Theobald hinterlassen hatte. Gemeinsam wollte man die Hälfte der Schulden
1224 Mohr, Lothringen, 3. Bd., S. 55,
1225 Die Äußerung bei Gumlich, Beziehungen, S. 24, die Eheschließung Gertruds mit dem
Grafen von der Champagne wenige Monate nach dem Tode von Herzog Theobald
zeige, daß „wenig sittliches Gefühl in ihr lebte“, ist als unsinnig zu bezeichnen. So
stellt Gumlich auch wenig später verwundert fest, daß Herzog Matthäus, ganz im
Gegensatz zu König Friedrich II., nichts gegen diese Eheverbindung einzuwenden
hatte (ebda., S. 27). Daß man sich auch heute nicht von solchen Wertungen
freigemacht hat, zeigt das Beispiel von J. Vartier, Histoire de Nancy, Paris 1980, S.
23, der Gertrud sogar als „catin“ bezeichnet.
1226 Bur, Les relations, S. 81.
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