Full text: Sozialer Besitzstand und gescheiterte Sozialpartnerschaft

Einen Einschnitt stellte die nationalsozialistische Familienpolitik dar. Ehestandsdarle¬ 
hen, das Hilfswerk Mutter und Kind und das Deutsche Frauenwerk sowie ab 1936 ein 
monatliches Kindergeld von 10 Reichsmark für jedes fünfte und weitere Kind, ab 
Dezember 1940 dann ab dem dritten, sowie die Auszeichnung von Frauen mit dem 
Mutterkreuz sind einige Elemente der Familienpolitik des "Dritten Reiches".13 
Zum Verständnis und zur Bewertung nationalsozialistischer Familienpolitik muß 
daraufhingewiesen werden, daß es sich um Maßnahmen handelte, die nicht einklagbar 
und im Rahmen der Fürsorge an die individuelle Bedarfsprüfung gebunden waren und 
zum anderen streng vom Rassegedanken determiniert wurden. Hinsichtlich der 
NS-Familienpolitik spricht Florian Tennstedt von der Pervertierung des Sozialstaates 
zu einem Mittel der Exklusion.14 Die Familienpolitik war streng rassenpolitisch ausge¬ 
richtet. Ein weiterer Aspekt war die Verschränkung von Arbeitsmarkt- und Geschlech¬ 
terpolitik. Zugleich benutzte der Staat die Familienpolitik als Vehikel, um in die Fa¬ 
milien bevormundend einzudringen. Zur Gewährung eines Ehestandsdarlehens mußte 
eine Vielzahl von sogenannten "rassehygienischen" Voraussetzungen erfüllt werden. 
Die Ehefrau mußte eine frühere Erwerbstätigkeit nachweisen und sich einer hauswirt¬ 
schaftlichen Überprüfung unterziehen, vor allem war aber ein amtsärztlich ausgestelltes 
Erbgesundheitszeugnis einzureichen. Entsprechende amtsärztliche Untersuchungen 
konnten unter Umständen zu Zwangssterilisation und Eheverbot führen.15 
Bei der Lohnbemessung spielten die familiären Verhältnisse keine entscheidende Rolle, 
es gab keinen Familienlohn. Ab 1942 wurde im Zuge der Reorganisation der 
NS-Kriegswirtschaft durch die sogenannte "Persönlichkeitsbewertung'’ der Einfluß von 
Partei und Staat gestärkt, Familienstand und Kinderzahl waren für sie aber keine 
relevanten Faktoren. Gerade die NS-Lohnpolitik zeigt einen klaren Entwicklungsschub 
Martin, Zur Frage, S.18. Claus M ü h 1 f e 1 d und Friedrich Schönweis, Nationalsozialistische 
Familienpolitik, Stuttgart 1989, S.200-203. Marie-Luise R e c k e r, Sozialpolitik im Dritten Reich, in: Hans 
Pohl (Hrsg.), Staatliche, städtische, betriebliche und kirchliche Sozialpolitik vom Mittelalter bis zur 
Gegenwart, Stuttgart 1991, S.259. Auch: Dörte Winkler, Frauenarbeit im "Dritten Reich", Hamburg 
1977. Dieselbe, Frauenarbeit versus Frauenideologie. Probleme der weiblichen Erwerbstätigkeit in 
Deutschland 1930-1945, in: Archiv für Sozialgeschichte (AfS) 17/1977, S.99-126. Heinrich August 
Winkler, Vom Mythos der Volksgemeinschaft. Rezension zu T.W. Mason, in: AfS 17/1977, S.484-490. 
Siehe speziell zu den Ehestandsdarlehen: Sachse, Betriebliche Sozialpolitik, S.244 f., sie betrugen zuerst 
600, später 1.000 Reichsmark. 
14 Florian Tennstedt, Der Ausbau der Sozialversicherung in Deutschland 1890-1945, in: Hans Pohl 
(Hrsg.), Staatliche, städtische, betriebliche und kirchliche Sozialpolitik vom Mittelalter bis zur Gegenwart, 
Stuttgart 1991, S.239. Siehe auch: Eckhard Hansen, Wohlfahrtspolitik im NS-Staat. Motivationen, 
Konflikte und Machtstrukturen im "Sozialismus der Tat" des Dritten Reiches, Augsburg 1991, insbesondere 
Teil III: Radikalisierungen in der Wohlfahrtspolitik der unmittelbaren Vorkriegszeit. Zu den Grenzen und 
Möglichkeiten der Planung einer nationalsozialistischen "Volkskörperpflege", S. 105-178. 
15 S a c h s e, Betriebliche Sozialpoltik, S.125-130. 
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