Full text: Sozialer Besitzstand und gescheiterte Sozialpartnerschaft

Schaft versuchten, durch politisches Engagement in Sachen Familiengesetzgebung den 
kirchlichen Einfluß zurückzudrängen.8 
Die Hilfe für Familien nahm bei der Gestaltung der französischen Sozialpolitik auch 
nach 1945 eine zentrale Rolle ein.9 In Anknüpfung an die familienpolitische Tradition 
wurden nach 1945 allgemeine Ausgleichskassen geschaffen. Sie waren nicht mehr für 
bestimmte Branchen zuständig, sondern in der Regel für ein bestimmtes Departement. 
Die Leistungen richteten sich nach einem festgelegten Prozentsatz des Durchschnitts¬ 
verdienstes. In den Genuß von Familienzulagen kamen im Sinne einer nach wie vor 
natalistischen Politik Berufstätige ab dem zweiten Kind. 
1.1.2 Familienpolitik in Deutschland bis 1945 
Im Vergleich zu Frankreich zeigt die familienpolitische Entwicklung in Deutschland 
ein ganz anderes Bild. Familienzulagen waren der deutschen Sozialpolitik fremd. Es 
war keine der französischen Entwicklung vergleichbare familienpolitische Tradition 
gewachsen. Familienausgleichskassen und Familienbeihilfen blieben Ausnahmen. Es 
gab zwar in der Weimarer Republik z.B. für die Textilindustrie Familienausgleichs¬ 
kassen, die jedoch durch die Inflation in den zwanziger Jahren mit Ausnahme der 
sogenannten Tarifgemeinschaft Deutscher Apotheker ihre finanzielle Basis verloren 
hatten und aufgelöst wurden.10 Wie in Frankreich versuchten auch in Deutschland 
Großunternehmen wie beispielsweise Siemens die Einkommenssituation ihrer Mit¬ 
arbeiter mit Familien zu verbessern. Im Vergleich zu Frankreich waren es aber nur sehr 
wenige Unternehmen, die entsprechende Aktivitäten entwickelten. Bereits 1919 wurde 
bei Siemens ein lohnpoliüsches Konzept von Familienzulagen entworfen. Ausgangs¬ 
punkt war die Sorge, daß unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg ähnlich wie in Frank¬ 
reich ein Arbeitnehmer mit durchschnittlichem Lohnniveau eine vierköpfige Familie 
nur noch sehr schwer ernähren konnte. Mitte der zwanziger Jahre beendete aber 
Siemens seine Bemühungen mit dem Argument, staatliche Instrumente sollten ange¬ 
wandt werden, um die Situation von Familien zu verbessern.11 Beamte erhielten in der 
Weimarer Republik eine Kinderzulage, und bei der Einkommensteuerbemessung 
wurde generell in bescheidenem Rahmen der Familienstand berücksichtigt.12 
8 Ebd., S.199. 
Ebd., S.187. Die Autorin stützt sich in ihrem Urteil auf Pierre Laroque, einen der wichtigsten Architekten 
der Sécurité Sociale. 
10 Irene Martin, Zur Frage des Kindergeldes, Diss. Marburg 1959, S.5. 
Carola S a c h s e, Betriebliche Sozialpolitik als Familienpolitik in der Weimarer Republik und im 
Nationalsozialismus. Mit einer Fallstudie über die Firma Siemens/Berlin, Hamburg 1987, S.244-246. 
Christoph S a c h ß e und Florian Tennstedt, Der Wohlfahrtsstaat im Nationalsozialismus. 
Geschichte der Armenfürsorge, Bd.3, Stuttgart u.a.0. 1992, S.177. 
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