Erhebliche Divergenzen in der Selbstverwaltung
Richard Kirn versuchte die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung voranzutreiben.
Seine Motive sind unter zwei Aspekten zu sehen. Einerseits entsprach der Versuch, die
Selbstverwaltung wieder einzuführen, einer Politik, die von ihm bereits bei den Bera¬
tungen über den Plan zur Sozialen Sicherheit verfolgt wurde, nämlich bei der Neu¬
regelung Reformen mit der Tradition der deutschen Sozialversicherung in Einklang zu
bringen. Bei den Beratungen über die Frage der Arbeitslosenversicherung und staatli¬
cher Subventionen zur Sozialversicherung hatte sich dies bereits angedeutet. Die
Verfassung spielt dabei auch eine wichtige Rolle, weil sie die sozialpolitische Entwick¬
lung im Sinne deutscher Traditionen präjudizierte. Hier kam dem Sozialdemokraten
Peter Zimmer, der den sozialpolitischen Teil wesentlich gestaltete, eine wichtige Rolle
zu. Nicht zuletzt wohl durch ihn erhielten Elemente der deutschen Sozialversicherungs¬
tradition wie Selbstverwaltung, Staatszuschüsse und Arbeitslosenversicherung Verfas¬
sungsrang.294 Damit war eine wichtige Grundlage geschaffen worden, auf die ins¬
besondere Richard Kirn immer wieder verweisen konnte. Die Orientierung an be¬
stimmten Elementen der deutschen Tradition erklärt sich daraus, daß sich CVP und
SPS trotz sozialpolitischer Gegensätze hinsichtlich der Zentralisierungstendenzen mit
der deutschen Sozialversicherung weitgehend identifizierten, gerade in der Zeit der
Abtrennung des Saargebietes von der Weimarer Republik hatte vor allem die politische
Linke und die christlichen Gewerkschaften auf Deutschland als ein Land des sozialen
Fortschritts geblickt.295
Grandval verhielt sich in Selbstverwaltungsfragen eher restriktiv, zum einen aus
Rücksicht auf die Régie und zum anderen könnte auch die innerfranzösische Entwick¬
lung wie die Politisierung der Sozialversicherungswahlen seine Haltung mitbestimmt
haben. Hier deutet sich an, daß die innerfranzösische Entwicklung die französische
Politik an der Saar stärker beeinflußt hat als die in ihrer Zone.
In diesem Zusammenhang ist es interessant, die Selbstverwaltungspolitik in der franzö¬
sischen Besatzungszone unter politischen und personellen Aspekten zu betrachten.
Emile Laffon scheint in ganz entscheidendem Maße für die Wiedereinführung und den
Ausbau der Selbstverwaltung verantwortlich gewesen zu sein. Die Akten des Zivil¬
kabinetts von General Koenig enthalten zwar die frühen Kontrollratspläne zur Wie¬
derherstellung der Selbstverwaltung, aber keine zentralen Anweisungen der französi¬
schen Militärregierung in dieser Frage. Es war Emile Laffon, der die Provinzgou-
vemeure am 14. März 1947 aufforderte, die deutschen Verwaltungen zur Vorlage von
Entwürfen zur Selbstverwaltung zu veranlassen.296 Es ist nicht unwahrscheinlich, daß
Grandval als Gaullist, der auch persönlich zumindest kein freundschaftliches Verhält¬
294
Diese These wurde auch von Franz Schlehofer am 23.2.1994 bestätigt.
295
Zenner, Parteien und Politik im Saargebiet, S. 126 f.
296
Hude mann, Sozialpolitik, S.285.
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