Ärzten, die Tarife zu überschreiten, z.B. bei besonders günstiger Vermögenslage des
Versicherten oder bei hohem Schwierigkeitsgrad der Behandlung. Was die Kosten¬
erstattung betraf, so mußte nach dem französischen System der Patient in Vorlage
treten und erhielt von der Sécurité Sociale die Kosten zu 80 Prozent erstattet.196
Bei der Frage Kopfpauschale oder französische Honorierung ging es ums Geld -
sowohl für die Ärzte als auch für den Sozialversicherungsträger und die Versicherten.
Ein saarländischer Zahnarzt bekam für die Behandlung eines Mitgliedes der gesetzli¬
chen Krankenversicherung nur ein Drittel des Betrages, den sein Kollege im Dé¬
partement Moselle für die gleiche Leistung erhielt;197 die Ärzte im Saarland empfanden
dies angesichts der Wirtschaftsunion als ungerecht.
Trotz der großen Defizite innerhalb der französischen Krankenversicherung war bis
weit in die fünfziger Jahre die Einkommenssituation der französischen Kassenärzte
keinesweg ungünstiger als die ihrer Kollegen im Saarland oder der Bundesrepublik, für
die noch immer die Kopfpauschale galt. Die Ursachen dafür scheinen in einem relativ
hohen politischen und gesellschaftlichen Gewicht der Ärzteschaft in Frankreich zu
liegen und der Scheu der Regierung, ärztlichen Partikularinteressen entgegenzutreten.
Die Ärzte hatten sehr früh, schon anläßlich der Beratungen zur Sécurité Sociale, aus
Angst vor Reglementierung und aus Furcht, den Status der Selbständigen zu verlieren
und zu Arbeitnehmern zu werden, ihre Interessen angemeldet, so blieb es ihnen auch
grundsätzlich freigestellt, Sozial versicherte zu behandeln.198 Es war somit nicht ver¬
wunderlich, daß die Kassen ärztliche Vereinigung gegenüber der LVA versuchte, das
als vorteilhaft erachtete französische Honorierungssystem durchzusetzen. Sie wies auch
darauf hin, daß durch das französische System Bagatellfälle femgehalten und somit
Kosten gesenkt würden, weil der Patient in Vorlage treten mußte.199 * Die Zahnärzte
machten medizinische Gründe geltend, die Kopfpauschale abzuschaffen. Beginnende
Karies sei als Krankheit nicht über Pauschalhonorierung zu behandeln. Es sei einfach,
ein Loch zu erkennen, die Behandlung aber aufwendig, wenn der Zahnnerv mit Bakte¬
196
Bernard F e u i 11 y, Kostenbeteiligung in Frankreich, in: Soziale Sicherheit 5/1956, S.75. S a i n t - J o
u r s, Landesbericht Frankreich, S.230, 240.
197
LA SB, MifAS, Bü.ll, Saarländisches Zahnärztesyndikat."Das Honorar für zahnärztliche Behandlung
von Kassenpatienten" als Anlage zum Schreiben an den Minister für Arbeit und Wohlfahrt vom 3.3.49.
Vgl. ebd., Schreiben von Henri Schlagdenhaufen, Ordre Départemental der Chirurgiens-Dentistes de la
Moselle, vom 18.1.50.
1,8 S a i n t - J o u r s, Landesbericht Frankreich, S.230. Irène Bourquin, "Vie ouvrière" und
Sozialpolitik. Die Einführung der "Retraites ouvrières" in Frankreich um 1910. Ein Beitrag zur Geschichte
der Sozialversicherung, Bern 1977, S.295. Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Hrsg.),
Entwicklung und Tendenzen der Systeme der Sozialen Sicherheit in den Mitgliedstaaten der Europäischen
Gemeinschaft und Großbritannien, o.Oa. 1966, S.101-103. L'anneé politique, 1950, S.12. Siehe
auch: 70 Jahre Sécurité Sociale, S.38, 41, 44.
199
LA SB, MifAS, Bü.ll, Dr. Brochowski, Vorsitzender der Ärztekammer und der Kassenärztlichen
Vereinigung vom 15.12.47 an Verwaltungskommission/Abt. Arbeit.
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