Obwohl die saarländische Verfassung in Anlehnung an die rheinland-pfälzische einen
direkten Verfassungsauftrag zur Verwirklichung der Selbstverwaltung enthielt, konnte
sich die saarländische Seite in dieser Frage gegenüber Grandval nicht durchsetzen. In
Anlehnung an Artikel 53 der rheinland-pfälzischen Verfassung hieß es in Artikel 46
der saarländischen Sozial- und Arbeitslosenversicherung unterstehen der Selbstver¬
waltung der Versicherten unter Mitwirkung der Arbeitgeber und haben besondere
Gerichtsbarkeit. Das Nähere bestimmt das Gesetz". Damit war in der saarländischen
Verfassung eindeutig ein Selbstverwaltungsauftrag für die Sozialversicherung ver¬
ankert worden.144
Einerseits entsprach der Versuch Kirns, die Selbstverwaltung wieder einzuführen, einer
Politik, die bereits bei den Beratungen über den Plan zur Sozialen Sicherheit auf Seiten
der saarländischen Teilnehmer zu beobachten war, nämlich bei der Sozialversiche¬
rungsneuregelung Reformen mit der deutschen Tradition in Einklang zu bringen, zum
anderen ging es ihm darum, den Einfluß des französischen Wirtschaftspartners zurück¬
zudrängen.
In diesem Zusammenhang eröffnet ein Blick in die französische Besatzungszone
interessante Perspektiven. Rainer Hudemann hat die fortschrittliche Sozialpolitik der
französischen Militärregierung im Bereich der Selbstverwaltung herausgestellt und
entdeckt, daß es die Militärregierung war, die die Durchführung der Sozialwahlen und
damit die Umsetzung der Selbstverwaltung vorantrieb, übrigens ganz im Gegensatz zur
angloamerikanischen Politik. Dieser Befund Hudemanns läßt das Bild der obstruktiven
Besatzungsmacht, die alle demokratischen Willensbildungsprozesse grundsätzlich
bremsen wollte, nicht mehr zu.145 Um 1948/49 fanden in den Ländern der französi¬
schen Besatzungszone Sozialwahlen statt. Die Selbstverwaltung, von den Nationalso¬
zialisten ausgehebelt, trat wieder in Kraft. Aber es blieb nicht nur bei der Wiederher¬
stellung der Selbstverwaltung. Sie wurde für die Arbeitnehmer fortschrittlicher als
bisher gestaltet, insbesondere in Rheinland-Pfalz. In sämtlichen Sozialversicherungs¬
zweigen wurde die Selbstverwaltung vorgeschrieben. Mit der Aufnahme von Arbeit¬
nehmervertretern in die Ausschüsse der Unfallversicherung wurde ein neues Element
in der deutschen Sozialversicherung geschaffen, denn bis dato hatten die Arbeitneh¬
mervertreter nur ein begrenztes Mitspracherecht in Fragen des Unfallschutzes. Im
Gegensatz zum traditionellen Beitragsprinzip, das als Maßstab für die Kräfteverhält¬
nisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern galt, sollte innerhalb der rheinland-
pfälzischen Selbstverwaltung die Zwei-Drittel-Mehrheit der Arbeitnehmer in allen
Versicherungsbereichen eingeführt werden. Im Rahmen der politischen Diskussion
insbesondere hinsichtlich der Unfallversicherung einigte man sich auf eine Parität mit
144
Verfassung des Saarlandes vom 15.12.47, in: Abi.1947, S.1077.
145
Hudemann, Sozialpolitik, S,275-306.
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