sind. Sie zielten auf die Gründung eines verschiedene politische Richtungen integrie¬
renden Industrieverbandes in einer Einheitsgewerkschaft.18
Für die französische Zone gilt nach Alain Lattard ein dezentralisiertes Gewerkschafts -
modell, das in Zusammenhang mit dem Demokratisierungskonzept zu sehen ist.19 Die
Militärregierung wünschte einen Wiederaufbau der Gewerkschaften von unten nach
oben. Diese Entscheidung wurde von einer völkerpsychologischen Interpretation
bestimmt. Die Franzosen beobachteten mit Sorge bei den Deutschen die immer noch
vorhandene Identifikation mit dem Führerprinzip. Deshalb wurden zunächst nur lokale
und berufsgebundene Gewerkschaften zugelassen, das hieß ein Aufbau von unten nach
oben - ganz im Gegensatz zur britischen und amerikanischen Besatzungspolitik.
Zum anderen sah die französische Militärregierung in den beiden Organisations¬
prinzipien Dezentralisierung und Industrieverband in der Einheitsgewerkschaft eine
Lehre aus der Geschichte, denn nach französischer Einschätzung begünstigten die
politische Zersplitterung der gewerkschaftlichen Kräfte in der Weimarer Republik und
die zentralistischen Führungsstrukturen die Machtergreifung Hiüers.20
Prinzip der Einheitsgewerkschaft
Zwei neue Prinzipien veränderten gegenüber der Weimarer Zeit die Gewerkschafts¬
struktur nach 1945 sowohl in der Bundesrepublik als auch bis zur Zulassung christli¬
cher Gewerkschaften im Saarland. Anstelle der parteipolitischen Zersplitterung in
verschiedene Richtungen trat das Prinzip der Einheitsgewerkschaft, geboren in dem
Bewußtsein, aus der nationalsozialistischen Katastrophe lernen zu müssen. Bei der
Gründung der Einheitsgewerkschaft stellte Heinrich Wacker öffentlich die Frage nach
der Schuld der Gewerkschaften. Die Gründung einer Einheitsgewerkschaft sei das
Gebot der Stunde, denn eine Einheitsgewerkschaft hätte mit "Wucht und Kraft den
Nazi-Spuk verjagen können".21 Das Prinzip der Einheitsgewerkschaft kann also auch
als ein Reflex auf die Erfahrung des "Dritten Reiches" gesehen werden. Die Einheits¬
gewerkschaft wurde als eine Lehre aus der Geschichte gesehen, wie Äußerungen
zahlreicher deutscher Gewerkschaftler verschiedener politischer Richtungen verdeutli¬
18 Interview mit Paul und Walburga Schmidt am 24.5.1994.
19
Alain Lattard, Gewerkschaften und Betriebsräte in Rheinland-Pfalz, in: Claus Scharf und Hans-
Jürgen Schröder (Hrsg.), Die Deutschlandpolitik Frankreichs und die französische Zone 1945-1949,
Wiesbaden 1983, S.160-163, 174. Für die Entwicklung m Baden liegt die Arbeit von Margit Unser vor:
Dies,, Der badische Gewerkschaftsbund. Zur Geschichte des Wiederaufbaus der Gewerkschaftsbewegung
im französisch besetzten Südbaden, Marburg 1989.
Edgar W o 1 f r u m, Französische Besatzungspolitik und deutsche Sozialdemokratie. Politische
Neuansätze in der "vergessenen Zone" bis zur Bildung des Südweststaates 1945-1952, Düsseldorf 1991,
S.65, Anm.7.
21 StA NK, Bestd. IV Bergbau, Referat Aloys Schmitt von 1985.
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