Die Gewerkschaften an der Saar wurden weder von oben noch von unten gegründet,
vielmehr sind hier zwei Strömungen zu unterscheiden. Die von oben vorgenommene
Gründung der Einheitsgewerkschaft als gewerkschaftlicher Dachverband, ganz wesent¬
lich von der alten Gewerkschaftselite geprägt, markierte zwar die organisatorische
Wiederaufnahme von Arbeitnehmerinteressen durch eine Gewerkschaft, ihr scheinen
aber erste Organisationsversuche von unten vorausgegangen zu sein. Nach Ansicht von
Siegfried Mielke ist es eine Legende zu glauben, die Gewerkschaftsgründung hätte sich
auf breiter Basis über die Betriebsratsebene ab April und Mai 1945 vollzogen.15 Sein
Befund trifft insofern für die Saar zu, als die Aktivitäten an der Basis keine Breiten¬
wirkung hatten, und es sich eher um punktuelle betriebsbezogene Aktivitäten handelte.
Sie zielten aber letztlich darauf, einen größeren organisatorischen Rahmen zu schaffen,
gerade die Rolle von Aloys Schmitt verdeutlicht diesen Prozeß.
Erst am 10. September 1945 erlaubte die französische Militärregierung, Gewerk¬
schaften offiziell zu gründen. Der I.V. Bergbau als mitgliederstärkster und für die
zukünftige Entwicklung der Gewerkschaften bedeutendster Industrieverband wurde am
18. November 1945 im Klinkenthal in Landsweiler-Reden und der I.V. Metall am 16.
Dezember 1945 in Völklingen gegründet. Bis Juli 1946 folgten mehr als 10 weitere
Verbände: Im Dezember 1945 bildeten sich der graphische Industrieverband, der I.V.
Baugewerbe, der I.V. der Fabrikarbeiter am 3. Februar 1946, am 1. September der I.V.
Leder und Bekleidung und am 3. November 1946 der I.V. Öffentliche Betriebe und
Verwaltungen. Jeder Industrieverband hatte selbständig handelnde Vorstände und
Gewerkschaftsausschüsse, höchste Instanz war die Generalversammlung.16
Divergenzen zur Französischen Zone
Mit der offiziellen Gründung der Einheitsgewerkschaft vor den einzelnen Industrie¬
verbänden kam es, wie Rainer Hudemann bereits 1979 festgestellt hat17, an der Saar im
Gegensatz zur übrigen französischen Besatzungszone zu einer Sonderentwicklung,
denn im Saarland wurde mit der Zulassung der Einheitsgewerkschaft, der die Grün¬
dung von Industrieverbänden folgte, eine zentralistische Struktur von oben nach unten
gewählt. Dabei darf aber nicht vergessen werden, daß indirekt auf Betriebsebene erste
Sammlungsaktivitäten zum gewerkschaftlichen Wiederaufbau zu beobachten gewesen
15 Siegfried Mielke, Der Wiederaufbau der Gewerkschaften: Legenden und Wirklichkeit, in: Heinrich
August Winkler (Hrsg.), Politische Weichenstellungen im Nachkriegsdeutschland 1945-1953, Göttingen
1979, S.75-77.
16 Klaus-Michael M a 11 m a n n, Der 8. Mai war kein Sonnenaufgang. Gewerkschaftlicher Wiederaufbau
1945/46, in: Ders. u.a. (Hrsg), Richtig daheim waren wir nie. Entdeckungsreisen ins Saarrevier 1815-1955,
Berlin u.a.O. 21987, S.225. Robert Heinz Schmidt, Saarpolitik 1945-1957, Bd.l, Berlin 1959, S.450-
454. 20 Jahre freie Gewerkschaften, S.15.
Rainer Hudemann, Sozialstruktur und Sozialpolitik in der französischen Besatzungszone
1945-1949. Materialien und Forschungsergebnisse, in: JbWestLG 5/1979, S.389-391.
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