Der Anteil der Abgeordneten im saarländischen Landtag, die als Bergleute oder Hüt¬
tenarbeiter tätig gewesen waren, war außerordentlich hoch - wohl höher als im Deut¬
schen Bundestag. Mehr als die Hälfte der Abgeordneten, nämlich 21 von 50, waren
entweder Gewerkschaftsmitglieder oder Gewerkschaftsfunktionäre. Kaufleute und
Unternehmer bildeten dagegen eine Ausnahme.460
Außen- und Sozialpolitik können in einem Wirkungszusammenhang stehen, wie der
Vergleich zwischen der saarländischen und der bundesdeutschen Wiedergutmachung
gezeigt hat. Dies gilt auch für andere Bereiche wie z.B. die Montanmitbestimmung und
Adenauers Taktik, vor dem Hintergrund der Verhandlungen über den Schumanplan
und dem Ziel der Westintegration, über Zugeständnisse in der Mitbestimmungsfrage,
einen Block von Sozialdemokratie und Gewerkschaft gegen seinen außenpolitischen
Kurs zu verhindern.461 Auch der Ost-West-Konflikt wirkte als sozialpolitischer Kataly¬
sator für die Bundesrepublik. Nachdem hohe wirtschaftliche Wachstumsraten gerade
in der zweiten Legislaturperiode zwischen 1953 und 1957 erzielt worden waren, wuchs
der sozialpolitische Verteilungsspielraum. Adenauers Rentenreform von 1957 beseitig¬
te die krasse Verteilungsdisparität zwischen den Rentnern, die zum Teil das wirt¬
schaftliche Wachstum miterarbeitet hatten und den im Arbeitsprozeß Stehenden, die die
Früchte des Wirtschaftswunders in Form steigender Realeinkommen genießen konn¬
ten. Die Spaltung Deutschlands bedeutete die unmittelbare Polarisierung zweier Gesell¬
schaftssysteme.462 Die Teilung schuf - metaphorisch gedacht - ein Schaufenster, in dem
zwei Systeme und ihr jeweiliger Lebensstandard zu sehen waren. Gerade in der Zeit der
Konfrontation beider Teile Deutschlands diente die Sozialpolitik - wie Hockerts
feststellt - dazu, der Bundesrepublik einen Legitimationsgewinn durch soziale Errun¬
genschaften zu verleihen und auf die Menschen in der DDR attraktiv zu wirken. Hier
zeigt sich trotz der Unterschiede zwischen der saarländischen und der bundesdeutschen
Sozialpolitik eine gewisse Parallele. Im Saarland sollte ein hoher sozialer Leistungs¬
standard als Markenzeichen einer autonomen von Deutschland abgetrennten Saar
nationale Denkmuster zurückdrängen. Die Bundesrepublik versuchte, nachdem sie
einen sozialpolitischen Verteilungsspielraum gewonnen hatte, durch fortschrittliche
Mitbestimmungsmodelle und soziale Sicherungssysteme einer kommunistischen
Penetration durch die DDR entgegenzuwirken und gleichzeitig die Lebensqualität eines
Sozialstaates mit sozialer Marktwirtschaft zu demonstrieren.
460 Francis Roy, Der saarländische Bergmann, Saarbrücken 1954, S.139.
461
Wenzel, Adenauer. Die Neuordnung der Grundstoffindustrien, S.149.
462
Buchhaas, Gesetzgebung, S.260. Hockerts, Bürgerliche Sozialreform, S.251, 254-260.
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