und Deserteur. Noch bis in die sechziger Jahre versuchte die Union sozialdemokrati¬
sche Spitzenpolitika- wie Willy Brandt und Herbert Wehner wegen ihres Exils politisch
zu diskreditieren. Die Negativassoziationen änderten sich erst langsam mit der Großen
Koalition.407
Emigration wurde als Makel wahrgenommen. Für viele Bundesdeutsche war Willy
Brandt deshalb als Kanzler unvorstellbar. Seine Emigration und sein Dienst in der
norwegischen Armee weckten die Vorstellung, er habe auf deutsche Soldaten, auf die
eigenen Väter und Söhne geschossen.408
Im Saarland ist der Emigrantenproblematik eine besondere Qualität zuzubilligen. Die
Bedeutung der Emigration als persönliches Schicksal potenziert sich in einer über¬
schaubar kleinen und dichtbesiedelten Region. Auch wenn es in der Bundesrepublik
viele Emigranten in der Politik gab, so sind die Verhältnisse zwar vergleichbar, aber
nicht gleichzusetzen. Der Anteil der Remigranten im Ersten Saarländischen Landtag
war mit 32 Prozent fast fünfmal so groß wie im Deutschen Bundestag, 1951 betrug er
dort gerade 6,95 Prozent.409
Im Unterschied zur Bundesrepublik war das Saarland schon zwischen 1933 und 1935
zum Sammelbecken für Emigranten aus dem Reich geworden.410 Schon zu dieser Zeit
waren die aus Nazi-Deutschland an die Saar geflüchteten Emigranten alles andere als
beliebt. Die Rückgliederung des Saarlandes an das "Dritte Reich" führte zu einer
breiten Emigrationswelle, vor allem ins angrenzende Frankreich. Dabei scheinen
unmittelbar nach der Volksabstimmung 1935 einige Saarländer kurzfristig und über¬
stürzt im Sinne einer Überreaktion nach Frankreich emigriert zu sein. Bezeichnend ist
in diesem Zusammenhang, ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit, die Erinnerung
von Lina und Walter Bier, zwei aktiven KP-Mitgliedern aus Landsweiler-Reden:"Da
verließen Leute das Land und wir wußten gar nicht warum, man sagte dann:'Der ist
emigriert, weü er schwarz gefahren ist'. Viele verließen völlig überstürzt das Land. Ich
habe verlassene Wohnungen gesehen, da stand noch Butter und Marmelade auf dem
Tisch. Viele kamen auch wieder zurück. Es sind so viele weggelaufen, manche einfach
nur, weü sie Schulden hatten, andere einfach aus Angst. Im übrigen wurden wohl viele
dazu verleitet zu emigrieren, weil sie mit Emigranten aus Hitler-Deutschland 1933
407
Jan F o i t z i k, Politische Probleme der Remigranten, in: Exil und Remigration 9/1992, S.106-113.
Alexander und Margarete Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven
Verhaltens, München 1967, S.66.
409 Hartmut Mehringer, Werner Röder und Dieter Marc Schneider, Zum Anteil ehemaliger
Emigranten am politischen Leben der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen
Republik und der Republik Österreich, in: Wolfgang Frühwald und Wolfgang Schieder (Hrsg.), Leben im
Exil. Probleme der Integration deutscher Flüchtlinge im Ausland 1933-1945, Hamburg 1981, S.213.
410 Hans-Walter Herrmann, Saarländische Emigration 1935-1939, in: JbWestLG 4/1978, S.357-412.
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