Konvergenzen herauszufiltern. Deshalb wird an einigen Stellen bewußt sehr ausführ¬
lich zu den Nachbarn geschaut, in der Familienpolitik etwa oder auch in Fragen der
Sozialverfassung wie der Rolle der Gewerkschaften in der Gesellschaft, des Tarifver¬
tragssystems und der betrieblichen Mitbestimmung. Dieser Ansatz ermöglicht es,
sozialpolitische Phänomene nicht nur deskriptiv zu erfassen, sondern sie in ihrem
Werden verstehen zu können. Er erfordert, sich ausführlich mit sozialpolitischen
Traditionen und Entwicklungstendenzen Deutschlands und Frankreichs auseinander¬
zusetzen, wobei bis zur Jahrhundertwende zurückgegangen werden muß. Dies erklärt
auch vom Autor beabsichtigte Wiederholungen, um das Lesen einzelner Kapitel ohne
wesentliche Erkenntnisverluste möglich zu machen. Daneben erscheint es ebenso
notwendig, nach Interaktionen zu fragen, um dadurch die Komplexität des politischen
Raumes, die Entscheidungsträger und Entscheidungsebenen zu erfassen. Auf diese
Weise sollen die politischen Spielräume der Regierung Hoffmann aber auch die der
französischen Repräsentanten an der Saar ausgelotet werden. Die neueren Untersu¬
chungen zur französischen Zone zeigen deutliche Inkohärenzen und Widersprüche in
der französischen Deutschland- und Besatzungspolitik.32 Die Frage nach Interaktionen
dient auch der Überprüfung, ob es überhaupt eine in sich geschlossene und abge¬
stimmte französische Saarpolitik der Pariser Administration gegeben hat. Dies erfordert
die differenzierte Analyse auf drei Ebenen, nämlich der Pariser Ministerien, des Ober¬
kommandierenden der französischen Besatzungszone in Baden-Baden und schließlich
des Délégué Supérieur bzw. Hohen Kommissars in Saarbrücken. Eine Untersuchung
von Interaktionen versetzt uns in die Lage, interne Machtstrukturen, Konfrontationen
und Kooperationen zu erkennen und das Gewicht der Entscheidungsträger besser
einzuschätzen sowie zu prüfen, wodurch sie in ihrer Politik beeinflußt worden sind.
Das Suchen nach Interaktionen beinhaltet z.B. auch die Frage, inwieweit die sozial¬
politische Entwicklung im Saarland durch innerfranzösische Ereignisse beeinflußt
worden ist.
Zum anderen stellt sich die Frage nach Interaktionen zwischen saarländischer und
bundesrepublikanischer Sozialpolitik. Angesichts des in der kollektiven Erinnerung
dominierenden hohen sozialpolitischen Standards an der Saar ist dies eine wichtige
Fragestellung, die sozusagen als Nebenprodukt der Beschäftigung mit saarländischer
Sozialpolitik, interessante Perspektiven hinsichtlich der bundesrepublikanischen
Diskussion um den Familienlastenausgleich im Kontext der Rückgliederung des
Saarlandes eröffnet.
32 Hudemann, Französische Besatzungspolitik, S.247. Alain L a 11 a r d, Zielkonflikte französischer
Besatzungspolitik. Der Streit Laffon-Koenig 1945-1957, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VfZ)
39/1991, S.13.
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