Full text: Sozialer Besitzstand und gescheiterte Sozialpartnerschaft

dische Sozialpolitik der Ära Hoffmann, wobei die Ausdehnung der Sozialversiche¬ 
rungspflicht ganz entscheidend durch den saarländischen Minister für Arbeit und 
Wohlfahrt Richard Kirn vorangetrieben worden ist. Der stärkere Koalitionspartner 
CVP stellte sich ihm dabei nicht in den Weg.76 
Da diese Politik eine Anpassung an den größeren Wirtschaftspartner bedeutete, kam 
von französischer Seite keine Kritik. Im Gegenteil, der Weg dazu war ja von der 
französischen Militärregierung bereits bei der Sozialversicherungsreform 1947 einge¬ 
schlagen worden.77 
Durch die Verordnung über Änderungen der Versicherungspflicht in der Kranken¬ 
versicherung vom 2. März 1948 wurde der Paragraph 165 der RVO neu gefaßt.78 Nicht 
nur alle gegen Entgelt Beschäftigte, sondern auch Anlernlinge und Praktikanten wur¬ 
den unter den Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung gestellt, ebenso auch 
Studenten. Hausgewerbetreibende, selbständige Privatlehrer und Musiker, Hebammen 
mit Niederlassungserlaubnis, in der Kranken- und Kinderpflege tätige Personen, 
Artisten und auch die Arbeitslosen unterlagen der gesetzlichen Krankenversicherungs¬ 
pflicht. Für Arbeitslose war sichergestellt, daß ihnen auch dann die gesetzliche Kran¬ 
kenversicherung zur Seite stand, wenn sie zuvor nicht durch die gesetzliche Kranken¬ 
versicherung abgesichert waren. Der genannte Personenkreis veranschaulicht, wie eng 
das Netz der gesetzlichen Krankenversicherung gespannt wurde. Diese Politik orien¬ 
tiate sich am französischen Wirtschaftspartner.79 Frankreich war dafür Vorbild, wie die 
jeweiligen Begründungen zu den Gesetzen verdeutlichen, geradezu stereotyp wird in 
ihnen auf "ähnliche Entwicklungen in Frankreich" verwiesen.80 
Die Ausdehnung der Sozialversicherungspflicht darf nicht als französischer Import 
mißverstanden werden, denn vor allem Gewerkschaftler und Sozialdemokraten identi¬ 
fizierten sich mit dieser Politik und hatten schon 1945 entsprechende Forderungen 
erhoben. Die saarländische Seite plante, die Hausfrauenarbeit durch die Aufnahme in 
76 Innerhalb des Kabinetts gab es keine Widerstände gegen entsprechende Gesetzentwürfe. Siehe z.B.: LA 
SB, StK/KR/MAW/195l/T-2, Gesetz über Änderungen in der Sozialversicherung, Arbeitslosen¬ 
versicherung und Kasse für Familienzulagen. 
77 Siehe Kap. I./4 f. 
78 Abi.1948, S.318. 
79 Vgl. französische Gesetzgebung bei: Saint-Jours, Landesbericht Frankreich, S.238. Die Studenten 
wurden durch das Gesetz vom 23.9.48 in die Sécurité Sociale integriert. Auch die freien Schriftsteller: 
Gesetz vom 21.4.49. 
LA SB, StK/KR/MAW/1950/T-l, Gesetz über die Krankenversicherung der Studenten vom 31.1.50. 
Begründung von Arbeitsminister Kim im Schreiben an den Leiter der Präsidialkanzlei vom 25.1.50. Ebd., 
1952/T-1, Direktor für Arbeit und Wohlfahrt, Heinrich Welsch, an Präsidialkanzlei vom 4.1.52. Gesetz über 
Änderungen in der Sozialversicherung und des Mutterschutzgesetzes vom 2.2.52. 
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