Breiter Konsens
Parteien und Gewerkschaften an der Saar akzeptierten dieses der deutschen Sozial¬
politik fremde Element. Wenn auch anfangs partiell am Umfang der Leistung Kritik
geübt wurde, so stellte doch keine politische Kraft dieses System in Frage.22
Den Vorstellungen der SPS entsprach die Familienzulage insofern, als es sich um eine
egalitäre soziale Leistung handelte. Die Haltung der saarländischen Sozialdemokraten
erstaunt um so mehr, wenn man sie mit der Einstellung anderer sozialdemokratischer
Parteien in Europa und der gewerkschaftlichen Linken vergleicht, etwa die distanzierte
Position der linken französischen Gewerkschaften zu diesem Thema, oder die kritische
Einstellung der eidgenössischen Sozialdemokraten und Gewerkschaften angesichts des
Volksbegehrens 1944 zum Schutz der Familie in der Schweizer Bundesverfassung und
der Einführung von Familienzulagen. Gerade in den westschweizerischen Kantonen
hatte seit 1930 vor dem Hintergrund einer ungünstigen demographischen Entwicklung
das französische Familienzulagensystem engagierte Fürsprecher gefunden. Das Unbe¬
hagen auf Seiten der Arbeiterschaft und ihrer Interessenvertretungen erklärt sich aber
vor allem aus lohnpolitischen Aspekten.23
Die saarländischen Sozialdemokraten konnten sich mit den Familienzulagen anfreun¬
den, weil ihre Einführung primär im Kontext der Wirtschaftsunion stand und in der
Öffentlichkeit nicht mit christlichen Wertvorstellungen verknüpft wurde.
Die CVP wiederum konnte sich aus ihrem Bekenntnis zur christlichen Soziallehre24 mit
dem neuen System identifizieren. Das saarländische wie auch das französische Fa¬
milienzulagensystem, nicht vom Staat, sondern mit Lohnanteilen finanziert, entsprach
dem Prinzip der Subsidiarität und trug damit einem Grundsatz der katholischen Sozial¬
lehre Rechnung. Sie lehnte den Staat als Träger gesellschaftlicher Aufgaben ab, wenn
soziale Gruppen in eigener Organisation und Verwaltung entsprechende Aufgaben
übernehmen konnten.25 Die Christdemokraten sahen einen gesellschaftspolitischen
Fortschritt, weil der Arbeitgeber jetzt kein Interesse mehr daran hatte, kinderreiche
Familienväter bei der Einstellung zu benachteiligen. Sie bekannten sich ausdrücklich
vom 10.12.57 an Herrn Minister im Hause.
22 So wünschte sich die SPS höhere Zulagen, vgl, LTS DS 1/15, Niederschrift zur Sitzung vom 24.3.48, S.5.
Mit stärkerer Kritik, ohne das System insgesamt abzulehnen, trat die KP hervor, siehe: Ebd., S.6. Siehe
auch: Volksstimme v. 13.12.47 und SVZ vom 20.12.47.
23 Jürg H. S o m m e r, Das Ringen um soziale Sicherheit in der Schweiz, St. Gallen 1978, S.231-235, 242.
24
LA SB, Partei- und Verbandsdrucksachen (PVD), Nr. 952. Bericht zum Landesparteitag der CVP vom
23.-26. November 1950, S.ll. "Ausgangspunkt unserer sozialpolitischen Arbeit ist daher die christliche
Soziallehre, die aus dem Naturrecht und den positiven göttlichen Gesetzen allgemeingültige Prinzipien für
das menschliche Gemeinschaftsleben aufstellt". Siehe auch SVZ vom 20.12.47.
25
Anton Rauscher, Die katholische Soziallehre im gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß der
Nachkriegszeit, in: Langner (Hrsg.), Katholizismus, Wirtschaftsordnung und Sozialpolitik, S.17 f.
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