Full text: Lotharingia (26)

zur vollen Zustimmung, auch zur Abschwächung des kaiserlichen Textes bot,41 begann mit 
der Zitierung des 1. Kapitels des Vertragstextes von Coulaines 843. Allerdings fügte Karl der 
Kahle hinzu, daß auch sein Sohn (und baldiger Nachfolger) die diesbezüglichen Bestim¬ 
mungen einhalten und beachten wolle. Die verlangte Antwort der Großen lautete, sie wür¬ 
den alle diesem ersten Kapitel zustimmen und es beachten.42 Aus diesem Zusammenspiel 
ergibt sich mit Gewißheit, daß Kapitel 1 des Vertrages von Coulaines auch 877 und künftig 
gelten, daß es, wie 843 beabsichtigt, auch jetzt eine Art Verfassungsrang behalten solle. 
Zwei Tage nach der verbindlichen Fixierung des Kapitulars ließ Karl d. K. am 16. Juni 877 
die Kerninhalte dieses Erlasses der Staatsgewalt durch seinen Kanzler Gauzlenus dem popu- 
lus, also einer größeren Menschenmenge, in Quierzy bekanntgeben (adnuntiari iussit).43 
Dieser auf vier Kapitel verkürzte Text wiederholte Kapitel 1 des FHaupttextes und damit den 
wesentlichen Teil vom 1. Kapitel des Vertrages von Coulaines. 
Am 6. Oktober 877 starb Karl d. K., und sein Sohn Ludwig (der Stammler) folgte ihm auf 
dem westfränkischen Thron. Dabei wurde er verfassungsmäßig festgelegt, denn bei seiner 
Königsweihe und Krönung durch Erzbischof Hinkmar von Reims am 8. Dezember 877 in 
Compiegne mußte sich Ludwig feierlich auf das erste Kapitel von Quierzy verpflichten.44 In 
den Annalen von St-Bertin ist dieser Königseid im Wortlaut überliefert, und die Annalen fü¬ 
gen ebenfalls im Wortlaut den Text dieses ersten Kapitels an45 - abgesehen von ganz 
geringfügigen Auslassungen ist es identisch mit dem ersten Kapitel des Herrschaftsvertrags 
von Coulaines 843. 
Man wird nicht nur von „Nachwirkungen" des Vertrages von Coulaines 843 reden dürfen, 
denn seine Bedeutung reicht noch über das Jahr 877 hinaus und bezeugt den Grundlagen¬ 
charakter. Hinzuweisen ist etwa auf die Synode von Fismes (S. Macra) 881, deren 3. Kanon 
mit dem 1. Kapitel von Coulaines 843 identisch ist,46 und schließlich soll Karlmanns Krö¬ 
nungsversprechen vom 9. September 882 erwähnt werden. Der Sohn Ludwigs des Stamm¬ 
lers war nach seines Bruders Ludwigs III. Tod Alleinherrscher im Westreich geworden und 
verpflichtete sich eidlich vor seinen Bischöfen in Quierzy, insbesondere das erste Kapitel 
des Kapitulars von Quierzy aus dem Jahre 877 einzuhalten.47 Gerade dieses entsprach im 
wesentlichen dem ersten Kapitel des Verfassungsvertrages vom November 843! 
Unsere Skizze läßt in recht dichter und eindrucksvoller Belegfolge erkennen, daß das 
Westreich seit den Verträgen von Verdun und Coulaines 843 einen sehr bewußten und 
eigenständigen Weg gehen wollte. Es konstituierte sich dabei in ungewöhnlicher Weise im 
Innern und verlor dieses Verfassungsziel über Jahrzehnte nicht aus den Augen. 
41 Ebd. beispielsweise S. 356, 26. 
42 Ebd. c.1 und RP (S. 355L). 
43 MCH Capitularia 2, Nr. 282, S. 361 ff. 
44 MCEH Capitularia 2, Nr. 283; hier S. 365. 
45 Annales Bertiniani a. 877, ed. R. Rau, Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte II, Darmstadt 
1958 S. 256/258; Annales de Saint-Bertin, ed. F. G rat, Paris 1964, S. 21 9f. 
46 Mansi, Bd.17A, 540. Verzeichnet von W. Hartmann (MGH Concilia 3) S. 13 als Nachwirkung. 
47 MGH Capitularia 2, Nr. 285, S. 370. 
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