IV
Warum aber, so lautet unsere letzte Frage, hat die Nachwelt die lothringische Klosterreform
vorwiegend mit den Namen Gorze und St. Maximin und nicht mit dem von St-Evre in Ver¬
bindung gebracht,108 obwohl sich in dem Touler Bischofskloster schon recht früh, vielleicht
sogar noch früher als in Gorze, eine intensive und aus verschiedenen Traditionen gespeiste
Erneuerungsbewegung des monastischen Lebens hat entfalten können? Es sind wohl die Ot-
tonen gewesen,109 die hierbei eine nicht unerhebliche Rolle spielten. Die Gorzer Äbte Ein¬
old und Johannes waren am Hofe hochangesehen; Johannes hatte sich sogar schon vor sei¬
nem Abbatiat im Jahre 953 persönlich in den Dienst des Königtums nehmen lassen und war
als Gesandter Ottos des Großen zu dem Kalifen Abderrachman III. nach Cordoba gereist.110
Gleiches hört man über einen Mönch oder Abt aus St-Evre nicht.
Wichtiger für die Ausbreitung der Mönchsreform lothringischer Prägung wurde aber noch
etwas anderes: der Status von St. Maximin als Königskloster. Der Übergang der Abtei an das
Reich fällt bemerkenswerterweise mit der Reform des Konventes zusammen.111 Von nun an
besaßen die ottonischen Könige ein Reservoir reformorientierter Kräfte, auf das immer wie¬
der zurückgegriffen werden konnte, wenn es darum ging, ein Kloster aus dem unmittelbaren
Herrschaftsbereich des Königshauses zu reformieren. St. Moritz in Magdeburg etwa,
Weißenburg im Eisass, Ellwangen, Echternach und St. Gallen und schließlich auch St.
Emmeram in Regensburg gerieten daher hinsichtlich ihrer monastischen Formung ebenso
wie das von Ottos Bruder Brun gegründete Pantaleonskloster in Köln und die von dessen
Nachfolger Gero errichtete Abtei Gladbach unter den Einfluß von St. Maximin und der
lothringischen Klosterreform.112 Das ottonische Königtum, williger Garant der klösterlichen
Rechte im Reich und entschiedener Förderer der monastischen Reform, ist mithin we¬
sentlich an der reichsweiten Ausbreitung der lothringischen Erneuerungsbewegung beteiligt
gewesen, wobei zwangsläufig dem Königskloster St. Maximin und aufgrund persönlicher
Beziehungen allenfalls noch Gorze, keinesfalls jedoch St-Evre eine führende Rolle zufallen
konnte. Das Touler Bischofskloster, obwohl ursprünglich entscheidend an der Reformbewe¬
gung beteiligt, wurde deshalb am Ende von der Ausstrahlung Gorzes und vor allem St. Ma¬
ximins in den Schatten gestellt.
108 So stellt etwa Wisplinghoff, Lothringische und clunyazensische Reform (wie Anm. 88), S. 63, fest:
„In Lothringen ... entstanden um bzw. kurz nach 930 drei Reformzentren, nämlich Brogne, Gorze und
St. Maximin".
109 Vgl. dazu und zum folgenden WoI lasch, Mönchtum (wie Anm. 4), S. 158-161.
110 Vita loh. abb. Gorz. c. 116-131 = MGH 4, S. 370-375.
111 Vgl. WispI i nghoff, Untersuchungen (wie Anm. 88), S. 30-33; Margue (wie Anm. 27) S. 36-39.
112 Vgl. Hallinger I, S. 95-119; Wollasch, Mönchtum (wie Anm. 4), S. 159 f.; Wispl inghoff,
Lothringische Klosterreform (wie Anm. 88), S. 149 f.; ders., Lothringische und Clunyazensische
Reform (wie Anm. 88), S. 64.
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