Full text: Lotharingia

Diese Feststellung aber läßt nur einen Schluß zu: Wenn das Fälschungsverdikt über die bei¬ 
den Bischofsurkunden aufrecht erhalten werden soll (und dann wohl auch für die beiden 
Herrscherdiplome Geltung besitzen müßte) und wenn die Annahme einer Fälschungsaktion 
im 12. Jahrhundert wirklich zuträfe, dann wäre ein Grund für dieses Täuschungsmanöver 
am ehesten in den Besitzverhältnissen und in der Vermehrung des Güterbestandes84 zu 
suchen, nicht hingegen in den Festlegungen über die Rechtsstellung des Klosters und die 
innere Ordnung des Konventes. Anders gewendet heißt dies jedoch: Selbst wenn die Privi¬ 
legien Machwerke des 12. Jahrhunderts sein sollten, selbst dann tradierten sie einen echten 
Kern: jene Passagen nämlich, die über das Verhältnis des Klosters zu Bischof, König und 
Reform Auskunft geben. 
Die Abfolge der vier zitierten Urkunden sowie deren Regelungen über die Rechtsordnung 
von St-Evre können daher auch weiterhin als ein Reflex jener Reformtradition betrachtet 
werden, in der das Kloster stand. Der Zugriff des karolingischen Königtums auf die Abtei in 
der Mitte des 9. Jahrhunderts und das lange Ringen um die Wiederherstellung der früheren 
Verhältnisse,85 kurz: die Indienstnahme für weltliche Angelegenheiten, haben die innermo- 
nastische Kontinuität offenbar nicht zerrissen (wie andernorts das Wirken von Laienäbten 
nicht zwangsläufig verhängnisvoll gewesen sein muß für die monastische Disziplin der Klö¬ 
ster, die davon betroffen waren86). 
Die Bewahrung eines nicht mehr näher zu fassenden Restes an klösterlicher Reformtradition 
aus der Karolingerzeit in St-Evre steht in einer bemerkenswerten Parallelität zu dem Nach¬ 
wirken der karolingischen Kanonikerreform, das gerade für den oberlothringischen Raum 
und speziell für die Touler Diözese wahrscheinlich gemacht werden konnte.87 Aber auch im 
84 Dazu vgl. neben den angeführten Urkunden (vgl. Anm. 72-74) auch DD O I (Hg. v. H[arry] Bresslau, 
Hannover 1909) 92 (947 August 3) und 290 (965 Juni 2) sowie D K II (1033 August 20) und Schaef¬ 
fer (wie Anm. 69) S. 590. 
85 Vgl. dazu D Lo I (Bearb. v. Theodor Schieffer, Berlin 1966) 199; D Lo II (Bearb. v. Theodor Schief- 
fer, Berlin 1966) 9; Recueil des actes des Louis II le Bègue, Louis III et Carloman II, rois de France 
(877-884), publ. par F. Grat, J. de Fontréaulx, G. Tessier, R.-H. Bautier (Chartes et diplômes), 
Paris 1978, Nr. 4; D Am (bearb. v. P. Kehr, Berlin 1940) 112, und Boshof, Kloster und Bischof (wie 
Anm. 6), S. 201. 
86 Vgl. dazu Franz Felten, Laienäbte in der Karolingerzeit. Ein Beitrag zum Problem der Adelsherrschaft 
über die Kirche, in: Arno Borst (Hg.), Episkopat und Adel zur Gründungszeit des Klosters Reichenau 
(= VF 20), Sigmaringen 1974, S. 397-431, bes. 419, sowie allg. zum Laienabbatiat auch ders., Äbte 
und Laienäbte. Studie zum Verhältnis von Staat und Kirche im früheren Mittelalter (= Monographien 
zur Geschichte des Mittelalters 20), Stuttgart 1980, S. 280-304. 
87 Vgl. dazu oben S. 126 f. - Indiz für diese Kontinuität in St-Evre ist auch die Urkunde von 916 (ed. 
Gallia Christiana XIII, Instr. S. 452 f. Nr. VII; vgl. dazu Choux [wie Anm. 38| S. 65 f. [anders dagegen 
Parisse, L'abbaye de Gorze (wie Anm. 33), S. 67]), die darüber berichtet, wie der Abt Sigideus von 
St-Evre Framirius, den Sohn der edlen Archilindis, als Mönch aufnimmt, der sub religione S. Benedicti 
cum aliis monachis Deo veile militari. 
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